Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents.
Der See von Valencia
Die Täler von Aragua1, deren reichen Anbau und bewundernswerte Fruchtbarkeit wir soeben geschildert, stellen sich als ein Becken dar, das zwischen Granit- und Kalkgebirgen von ungleicher Höhe liegt. Im Norden trennt die Sierra Mariara sie von der Meeresküste, gegen Süden dient ihnen die Bergkette des Guacimo und Yusma als Schutzwehr gegen die glühende Luft der Steppe. Hügelzüge, hoch genug, um den Lauf der Gewässer zu bestimmen, schließen das Becken gegen Ost und West wie Querdämme. Diese Hügel liegen zwischen dem Tuy und La Victoria, auf dem Wege von Valencia nach Nirgua und in den Bergen von Torito. Aufgrund dieser eigentümlichen Gestaltung des Bodens bilden die Gewässer der Täler von Aragua ein System für sich2 und laufen einem von allen Seiten geschlossenen Becken zu; sie ergießen sich nicht in den Ozean, sondern vereinigen sich zu einem Binnensee, unterliegen hier dem mächtigen Zuge der Verdunstung und verlieren sich gleichsam in der Luft. Von diesen Flüssen und Seen hängt die Fruchtbarkeit des Bodens und der Ertrag des Landbaus in diesen Tälern ab3. Schon der Augenschein und eine halbhundertjährige Erfahrung zeigen, dass der Wasserstand nicht gleichbleibend ist, sondern vielmehr das Gleichgewicht zwischen der Summe der Verdunstung und der des Zuflusses gestört ist. Da der See 1000 Fuß4 über den benachbarten Steppen von Calabozo und 1332 Fuß über dem Meere liegt, so vermutete man, das Wasser habe einen unterirdischen Abfluss oder versickere. Da nun Inseln sich aus dem Wasser erheben und der Wasserspiegel fortwährend sinkt, so meinte man, der See könnte völlig austrocknen. Das Zusammentreffen so auffallender Naturverhältnisse musste mich auf diese Täler aufmerksam machen5, in denen die wilde Schönheit der Natur6 und der liebliche Eindruck fleißigen Anbaus und der Künste einer erwachenden Zivilisation sich vereinigen.
Der See von Valencia, von den IndianernTacarogia7 genannt, ist größer als der Neuenburger See in der Schweiz8; im Umriss aber hat er Ähnlichkeit mit dem Genfer See, der auch fast ebenso hoch über dem Meere liegt. Da in den Tälern von Aragua der Boden nach Süd und West abfällt, so liegt der Teil des Beckens, der unter Wasser geblieben ist, nahe der südlichen Bergkette von Güigüe, Yusma und dem Guacimo, die den hohen Savannen von Ocumare zuläuft. Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees stechen auffallend voneinander ab. Das südliche ist Wüste, kahl, fast unbewohnt, und eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein finsteres, einförmiges Aussehen; das nördliche dagegen ist eine liebliche Landschaft mit reichen Zuckerrohr-, Kaffee- und Baumwollpflanzungen. Mit Cestrum, Azedarac und anderen immerblühenden Sträuchern eingefasste Wege laufen über die Ebene und verbinden die zerstreuten Höfe. Jedes Haus ist von Bäumen umgeben. Die Ceiba mit großen gelben* und die Erithryna mit purpurfarbenen Blüten, deren Äste sich verflechten, geben der Landschaft einen eigentümlichen Charakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabilischen9 Farben sticht wirkungsvoll vom durchgängigen Blau des wolkenlosen Himmels ab. In der tr