: Andreas Bernard
: Der Trost der Flipper
: Klett-Cotta
: 9783608122930
: 1
: CHF 14,30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Die Reihe der Flipper, ihre leuchtenden Scheiben, sind das Band, das die Bruchstücke meines Lebens zusammenhält.« Funkelnde Flipperautomaten stehen im Mittelpunkt von Andreas Bernards autobiografischer Erzählung. Die Entdeckung der Geräte in der Kindheit. Die Streifzüge durch die Lokale des Viertels, in denen sich das Gespür für die Standorte der Maschinen ebenso herausprägt wie das innere Bild der Heimatstadt. Und das Flippern als Linderungsmittel gegen Einsamkeit und Langeweile und später als Vehikel einer ersten Liebe. Flipperautomaten standen zwischen den 1960er und 1990er Jahren in fast jeder Kneipe, jeder Bar, jedem Spielsalon. In den Filmen der Nouvelle Vague und des neuen deutschen Kinos von Wenders und Fassbinder, in den frühen Romanen von Modiano, Murakami und Rainald Goetz hatten sie ihren festen Platz. Ausgehend von den Spielautomaten erzählt Andreas Bernard die Geschichte einer Jugend und einer Stadt im Wandel. Denn im Aussterben der Flipper Ende der neunziger Jahre spiegeln sich weitaus größere Veränderungen, die etwa die Gestalt der Städte betreffen und das Ende der Industriearbeit in Deutschland. Ähnlich wie sein Vorgängerbuch »Wir gingen raus und spielten Fußball« ist »Der Trost der Flipper« gleichermaßen zeitgeschichtlicher Kommentar und literarische Erinnerung.

Andreas Bernard, geboren 1969 in München, lehrt Kulturwissenschaften an der Leuphana-Universität Lüneburg und ist Autor von Sachbüchern über den Fahrstuhl als Ort der Moderne, die Geschichte der Reproduktionsmedizin und das Menschenbild der digitalen Kultur. Das bei Klett-Cotta erschienene Buch »Wir gingen raus und spielten Fußball« war für den Bayerischen Buchpreis nominiert. Andreas Bernard lebt in Berlin.

1. Same Player Shoots Again


Seitdem die Flipper verschwunden sind, haben sich die Städte gewandelt. Sie sind gläserner geworden, durchsichtiger. Im Zentrum und an den Ausfallstraßen reihen sich Läden mit breiten Fensterfronten aneinander, Dönerbuden, Nagelstudios, Coffeeshops, Shishabars, Asia-Bistros, Start-up-Büros – lauter Orte, die man zur Blütezeit der Flipper noch nicht kannte. In den Straßen meiner Kindheit, in der Abfolge von Mietshäusern, Geschäften und Lokalen, fand sich, wenn die Erinnerung nicht trügt, kaum eine transparente Stelle. Die vielen Stehausschänke des Viertels, die Konditoreien und die Gaststätten mit jugoslawischer oder »gutbürgerlicher« Küche (»deutsch« hieß das Essen seltsamerweise nie) hatten Türen aus Holz und waren mit gelblichen Gardinen verhüllt, und an den Fenstern der Supermärkte, Getränkehändler und Schreibwarenläden hingen großformatige Werbeplakate mit Sonderangeboten. Höchstens die Metzgereien gewährten vollen Einblick ins Innere des Geschäfts.

In den Cafés und Imbissbuden von heute würde man einen Flipper von außen sofort erkennen. Manchmal fällt mir im Vorbeigehen eine Stelle hinter den großen Fenstern auf, die wie geschaffen wäre für einen Apparat – typische Flipperstandorte von früher, bei den Toilettentüren oder in der Ecke am Ende der Bar. Einmal, beim Blick in ein türkisches Lokal, schien der freie Raum zwischen Theke, Wand und Fenster so passgenau ausgespart zu sein – eine Lücke in Form eines Flippers –, dass mir die Silhouette des blinkenden Kastens einen Moment lang wie ein Trugbild vor Augen stand.

Als es noch Flipper gab, zeigten sich die wenigsten von ihnen auf den ersten Blick. Sie mussten im Innern der Kneipen und Gaststätten erst entdeckt werden, oft an entlegenen Stellen: in einem schmalen Durchgang nach hinten, wo sich die Toiletten und der Zigarettenautomat befanden, in einem Nebenzimmer mit Billardtisch, zu dem ein paar Stufen hinaufführten, oder sogar im Keller, im Vorraum der Kegelbahn. Diese Anordnung hatte den Vorteil, dass ich in einem Alter, in dem es mir noch lange nicht erlaubt gewesen wäre, alleine ein Lokal oder einen der schmalen Stehausschänke zu besuchen, halbe Nachmittage flippern konnte. Ich fragte vorne an der Theke, ob ich kurz die Toilette benutzen dürfte, ging voller Aufregung nach hinten zu den Maschinen und spielte unbemerkt. (Je öfter ich an einem Gerät stand, je vertrauter es mir wurde, desto länger hielt auch mein Budget von zwei oder drei Mark.) Die Wirtin hatte mich längst vergessen; nur manchmal kam einer der Trinker vorbei, um eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten zu ziehen, und warf mir im Weggehen einen komplizenhaften Blick zu.

Inmitten dieser zwielichtigen, fast versteckten Flipperorte gab es eine Ausnahme, einen Schauplatz, an dem sich die Maschinen offen präsentierten – die hell erleuchteten Spielhallen, die sich vor allem rund um den Bahnhof verteilten. Ihre großflächigen, mit Neonschriftzügen verzierten Fenster waren schon von Weitem zu erkennen, und es ist eine schroffe Umkehr im Erscheinungsbild der Städte, dass die verbliebenen »Spielotheken« von heute gerade die blinden Flecken der immer lichter gewordenen Ladenzeilen bilden; hermetische Orte mit schwarzbeklebten Fenstern, deren Fassaden, einem Gesetz von 2012 zufolge, »so zu gestalten sind, dass ein Einblick ins Innere der Räumlichkeiten von außen nicht möglich ist«. In der Zeit der Flipper waren die Spielhallen verheißungsvolle, durchlässige Orte, deren Geräusche – ein vielfach verstärktes Rattern und Sirren Dutzender Maschinen – sich den Passanten durch die offenen Glasschiebetüren schon in der Ferne ankündigten, wie bei einem in der Nähe aufgebauten Rummelplatz. Wer heute die Scheu vor den schwarzen Fenstern überwindet und die Tür zu einer »Spielothek« öffnet, betritt dagegen einen abgedichteten, beinahe sterilen Raum. Die Geldspielautomaten stehen auf gepflegtem Teppichboden (Flipper und andere Gerätefor amusement only gibt es nicht mehr), und davor sitzen ein paar Spieler auf Barhockern mit Lehnen und drücken stoisch ihre Tasten. Ein Ghetto für die letzten, sorgsam vo