: Ray Nayler
: Die Stimme der Kraken
: Tropen
: 9783608122497
: 1
: CHF 19.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 464
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es gibt außergewöhnliche Lebewesen in den tiefen Wassern vor der Insel Con Dao. Für die Einheimischen sind sie Monster.  Für den Großkonzern, dem die Insel gehört, ein lukratives Geschäft.  Für das Team der Wissenschaftler, unterstützt vom weltweit ersten Androiden: eine Offenbarung Ihr Bewusstsein ist anders als unseres. Ihre Körper sind formbar, beweglich, immer in Veränderung. Sie beherrschen intelligente Kommunikation. Und sie wollen, dass wir verschwinden. »Ein Öko-Thriller, der es in sich hat!« Washington Post »Spannend, absolut gegenwärtig und äußerst klug.« The New York Times »So unterhaltsam wie durchdacht, diese Erkundung - menschlichen und nichtmenschlichen - Bewusstseins ist schlicht umwerfend.« Publishers Weekly

Ray Nayler, geboren in Quebec und aufgewachsen in Kalifornien. Fast sein halbes Leben war er im United States Foreign Service und dem Friedenscorps, u. a. als Beauftragter für Umwelt, Wissenschaft, Technologie und Gesundheit für das US-Konsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt. Mit seinen Kurzgeschichten gewann er u. a. den Asimov's Readers' Award. Er arbeitet an der George Washington University's Elliott School of International Affairs. Er lebt mit seiner Familie in Washington D. C. Die Stimme der Kraken wurde mit dem Locus Award der Los Angeles Times ausgezeichnet und war auf der Shortlist für den Nebula Award und den Ray Bradbury Prize.

1


Es war Nacht im Bezirk 3 der Autonomen Handelszone Ho Chi Minh.

An der Plastikmarkise des Cafés strömte der Regen herab. Darunter, vor dem Regen geschützt und eingehüllt in Küchendünste und Stimmengewirr, wuselten Kellner mit dampfenden Suppenschüsseln, Coldbrewgläsern und Bierflaschen zwischen den Tischen umher.

Hinter der Regenwand rauschten Elektro-Mopeds wie leuchtende Fische vorbei.

Lieber nicht an Fische denken.

Lawrence richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen auf die Frau ihm gegenüber, die ihre Essstäbchen gerade mit einem Limettenschnitz abrieb. Ein Abglanz-Identitätsschild, dessen flackernde Farbschleier sich ständig wandelten, bedeckte ihr Gesicht.Wie etwas, das unter Wasser lebt …

Lawrence drückte die Fingernägel in seine Handfläche. »Verzeihung – könnten Sie dieses Ding vielleicht anders einstellen?«

Die Frau justierte etwas. Der Abglanz nahm die Erscheinung eines ausdruckslosen Frauengesichts an. Unter der Oberfläche konnte Lawrence die zarten Umrisse ihres eigentlichen Gesichts umhertreiben sehen.Umhertreiben …

»Diese Einstellung benutze ich normalerweise nicht.« Die Vibrationen des Abglanzes gaben dem Tonfall der Frau etwas Mattes. »Die Gesichter wirken befremdlich. Die meisten Menschen bevorzugen den Farbschleier.«

Sie führte ihre Essstäbchen zum Mund. Die Nudeln verschwanden in der von Störimpulsen durchzuckten Lippen-Oberfläche der Maske. Dahinter sah man den Schatten von einem weiteren Paar Lippen und Zahnreihen.

Schau nicht hin. Fang einfach an. »Okay. Meine Geschichte. Deswegen sind wir hier. Ich bin vor zehn … nein, vor mittlerweile elf Jahren auf den Archipel gekommen. Davor habe ich in einem Tauchladen in Nha Trang gearbeitet. Als ich ankam, gab es auf Con Dao nur zwei Tauchläden – einen in einem schicken Hotel für Westler und einen anderen kleinen Laden, der sich kaum halten konnte. Den hab ich gekauft. Hab fast nichts dafür bezahlt. Con Dao war ein verschlafenes Inselchen – kaum bevölkert, kaum besucht. Die Einheimischen haben geglaubt, dass es auf der Insel spukt.«

»Spukt?«

»Die ganze Insel ist früher ein Gefängnis gewesen. Auf den Friedhöfen liegen Generationen von Regimekritikern begraben, die von einer Regierung nach der anderen zu Tode gefoltert wurden. Ziemlich schlechter Ort, um ein Geschäft aufzumachen, denken Sie? Mag sein. Aber ein guter Ort, um einfach nur über die Runden zu kommen und sein Leben zu leben. Klar, der Ort hatte seine Schwierigkeiten – viele sogar. Rein rechtlich gehörte der gesamte Archipel – die Inseln und die Gewässer – dem Global Conservation Park. Man durfte also nicht fischen, nicht jagen. Es gab sogar eine eigene Aufsicht derUN, die einmal im Jahr aufkreuzte und einen Bericht erstellte. Aber tatsächlich waren dort ständig Fischerboote unterwegs, ihre Schleppnetze verhedderten sich in den Riffen und sie fischten mit Zyanid und Dynamit. Und die Ranger waren alle korrupt. Was hätten sie auch sonst machen sollen, bei den Monatslöhnen? Sie haben Schildkröteneier verkauft, Rifffische, was immer sie in die Finger bekamen. Und die Einheimischen haben da auch mitgemischt – haben mit Speeren gefischt und sind ohne Ausrüstung nach Schalentieren getaucht. Son, mein Assistent, war so ein Taucher.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Das hab ich doch schon gesagt – ich weiß es nicht. Nach der Evakuierung haben wir uns aus den Augen verloren.«

»Er ist der, der mit Ihnen auf dem Boot war? Am Tag des Zwischenfalls?«

»Ja. Das wollte ich gerade erzählen.«Beziehungsweise vermeiden. »Das Wrack ist ein thailändisches Stahl-Frachtschiff, sechzig Meter lang. Im späten 20. Jahrhundert untergegangen. Das einzige für Taucher erreichbare Schiffswrack in ganz Vietnam. Es liegt nur zwanzig Mete