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Besuch vom Meisenmann
»Scheiße!«, rief er aus und dachte im gleichen Moment, dass er noch vor einigen Jahren, als er versuchte besonders fromm zu leben, in einer solchen Schrecksekunde wohl eher »O Gott!« oder »Jesus!« ausgerufen hätte.
Ob Bewahrung die Folge dieses Bekenntnisses gewesen wäre? Vielleicht. Bestimmt sogar! Doch jetzt hüllte sich blitzschnell alles in Dunkelheit und Angst.
Das Treppenhaus drehte sich vor seinen Augen. Polternd stürzte er die sechzehn Stufen hinunter, die das Ober- vom Erdgeschoss trennten, knallte dabei mehrfach mit dem Hinterkopf an die Hauswand und schlug unten hart auf dem Fliesenboden auf.
Für einen Stuntman wäre das Ganze ein Klacks gewesen und wahrscheinlich ohne jeglichen Kratzer abgegangen. Aber mit seinem Übergewicht und seiner Körperbehinderung, seinen kurzen, schmalen Armen und seinen deformierten Händen konnte er sich nicht abfangen oder festhalten, um Verletzungen zu verhindern.
Wie ein nasses Handtuch, das man nach Gebrauch im Hotel achtlos auf den Badezimmerboden wirft, lag er da und atmete schwer.
Immerhin, er atmete. Noch.
Schmerzen? Schmerzen hatte er keine. Eine Tatsache, die ihn jedoch keineswegs zuversichtlich stimmte. Ganz im Gegenteil, denn er spürte überhaupt nichts. Keinerlei Gefühl in seinen Gliedmaßen.
Querschnittlähmung? Querschnittlähmung!
Wie ein monströser, krachender Donner schlug die Angst in meinen Schädel ein.
Moment! Das war doch gerade ein echter Donner?!
Ich war so tief in meinen Katastrophengedanken versunken, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie sich eine wolkenverhangene dunkle Gewitterfront vor die Sonne geschoben hat.
In der Realität sitze ich nämlich in meinem Liegestuhl auf der Terrasse, direkt an meinem kleinen idyllischen Gartenteich.
»Trotzdem, ich brauche dringend neue Hausschuhe! Die alten sind viel zu ausgelatscht und kaputt. In diesen Pantoffeln habe ich einfach keinen richtigen Halt mehr!«
Die ersten hilfreichen Gedanken seit über einer Dreiviertelstunde. Seit ich auf der Treppe seitlich aus dem linken Hausschuh gerutscht bin, das Gleichgewicht verloren habe und mich gerade noch im allerletzten Moment ausbalancieren und einen Sturz verhindern konnte.
Ich bin buchstäblich mit dem Schrecken davongekommen, von dem ich mich jetzt im Liegestuhl auf der Terrasse in der Sonne erholen will.
Anstatt diese Erholung mit dankbaren inneren Betrachtungen über den glimpflichen Ausgang einzuleiten und innerlich zu frohlocken, male ich mir jedoch in den dunkelsten Farben aus, was alles hätte passieren können.
Ein Sturz treppab, mein Anfang vom Ende.
Düstere Fantasien, wie die eben beschriebene, als sehr real verkleidet, beherrschen mein Denken und schieben die Angst etwas tiefer in mein Herz wie eine übel riechende Schlammlawine in ein gerade noch ordentliches und schön dekoriertes Wohnzimmer.
Im Teich versuchen die Fische, Futterreste von den Seerosenblättern zu saugen. Meine beiden Spiegelkarpfen Gustav und Gerlinde schmatzen direkt neben mir Löcher