: Gerrit Hohage
: Tief verwurzelt glauben Wie man heute christlich denken kann
: SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
: 9783417271096
: 1
: CHF 14.40
:
: Religion/Theologie
: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie entsteht reifer Glaube? Nur dadurch, dass man die Schalen eines vermeintlichen Kinderglaubens abwirft? Sich von Vorstellungen, die heute nicht mehr plausibel scheinen, verabschiedet? Indem man nach einem Gottesbild fragt, das zu keinen biografischen Verletzungen führt und indem man neue Erkenntnisse umarmt, ohne die eigenen Einsichten absolut zu setzen? Gerrit Hohage fragt tiefer. Er legt die denkerischen Voraussetzungen frei, die zu vielen aktuellen Neudeutungen des Glaubens führen, und betont, wie elementar auch historische Tatsachen für den Glauben sind. Die stellvertretende Wirkung des Kreuzestods Jesu muss keineswegs aufgegeben werden, wenn man intellektuell redlich bleiben will. Hohages Buch ist ein wichtiger und klug durchgeführter Diskussionsbeitrag zu einer entscheidenden aktuellen Debatte.

Gerrit Hohage studierte evangelische Theologie in Bethel, Erlangen und Heidelberg und wurde dort 2005 zum Dr. theol. promoviert. Danach war er bis 2022 Pfarrer in der Ev. Bonhoeffergemeinde Hemsbach, seitdem ist er Pfarrer in der Ev. Kirchengemeinde Gundelfingen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

2 Glaubensgewissheit


2.1 Und es gibt IHN doch


Ich habe den christlichen Glauben nicht unbedingt mit der Muttermilch eingesogen. Ganz im Gegenteil: Meine Familie war kritisch gegenüber dem Christentum, der Kirche und allem Religiösen. Meine Mutter hatte sich in der Studienzeit vom Glauben abgewendet und in der väterlichen Familie spielte der Glaube keine Rolle. Ich teile mit Torsten Hebel, dem früheren Evangelisten und heutigen Leiter der Berliner Bildungseinrichtung Blu:Boks,7 die Erfahrung, ein Scheidungskind zu sein. Mein Stiefvater war geprägt von der atheistischen Philosophie von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin. Der Glaube galt ihm als Opium fürs Volk. Es waren die 68er; die Luft war voll mit Politik und dem Willen, die Gesellschaft zu verändern. Das schloss die Religion mit ein und darüber wurde mit uns Kindern auch geredet. Meine Großmutter war tiefgläubig gewesen, war aber auf ausdrücklichen Wunsch meiner Mutter äußerst zurückhaltend mit dem, was sie uns über den christlichen Glauben erzählte. Aber ich sollte den evangelischen Religionsunterricht besuchen, damit ich informiert war. Nicht gerade rosige Umgebungsbedingungen. Warum also wurde ich Christ?

Ein kindliches Gebet


Natürlich habe ich als Kind mal dieses, mal jenes aufgeschnappt. Ich besuchte eine evangelische Grundschule, in der ich mitbekam, dass man dort an Gott glaubte. In einem Traum war ich mit anderen Menschen, die ich nicht kannte, in einem kleinen, aber prunkvoll mit Blattgold verzierten Raum, der etwas Heiliges ausstrahlte. Wir saßen auf gepolsterten Stühlen und irgendetwas wurde gesprochen, was mein Herz anrührte mit einer merkwürdigen, heiligen Empfindung, die ich nicht beschreiben konnte. Meine Eltern sahen sich merkwürdig an, als ich den Traum erzählte, denn beide wussten, dass ich von einem Gottesdienst geträumt hatte – obwohl ich noch nie in einem solchen Gottesdienst gewesen war. Als ich später erstmals einen Schulgottesdienst besuchte, fand ich das schon sehr interessant.

Als ich zwölf Jahre alt war, wollte ich wirklich wissen, ob es diesen Gott, an den meine Familie nicht glaubte, nun gibt oder nicht. Von meiner Großmutter wusste ich, wie beten geht. Ich hatte gerade zum ersten Mal selbstständig eine Bestellung bei einem Versandhaus aufgegeben, von meinem eigenen Taschengeld: einen Kassettenrekorder. Ich wartete schon seit Tagen sehnlichst darauf. Und im Schulbus kam mir plötzlich die Idee, das eine mit dem anderen zu verbinden. Ich faltete die Hände und betete: »Lieber Gott, wenn du machst, dass heute der Kassettenrekorder ankommt, dann glaube ich auch an dich.« Voller Spannung kam ich nach der Schule nach Hause, aber das Paket war nicht angekommen. »Der Fall ist erledigt«, sagte ich mir enttäuscht. Aber als ich am Abend im Bett lag, da dachte ich plötzlich: »Also, mal angenommen, ich wäre Gott, und so ein Schnösel hätte das zu mir gesagt, dann hätte ich das auch nicht gemacht.« Und ich wusste: Ich brauche einen zweiten Versuch. Ich betete dann: »Lieber Gott, zeig mir, ob es dich gibt.«

Und was soll ich sagen: Gott hat dieses Gebet erhört. Es sind viele Dinge in diesem Jahr geschehen. Mein Religionslehrer, der passenderweise Herr Engels hieß, wurde ein wahrer Engel für mich, wenn er die Geschichten von Jesus erzählte. Eine andere Quelle des Glaubens waren die Bücher von Karl May. Ich staunte, wie Old Shatterhand die atheistischen Spötteleien von Old Wabble in den »Old Surehand«-Bänden konterte, die ich fast wortgleich zu Hause zu hören bekam. Oder wie der greise Klekhi-Petra in »W