Barbara Drossel
Gott erschafft durch Prozesse
Einleitung
»Gott hat mich geschaffen«, davon sind die meisten Christen überzeugt. Die Verfasser der Bibel bekannten dies auch: »Du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe«, schreibt David in Psalm 139,13. An dieser Überzeugung halten wir auch dann fest, wenn man uns sagt, dass die Entstehung eines Babys im Mutterleib wissenschaftlich erforscht wurde und inzwischen gut verstanden wird. Wir sehen hierin keinen Widerspruch dazu, dass Gott uns geschaffen hat. Den Prozess, den die Embryologen erforschen, interpretieren wir als das lebensschaffende Handeln Gottes, und wir sind fasziniert davon, wie großartig er sich die Entwicklung des Babys im Mutterleib ausgedacht hat.
Die Verfasser der Bibel beschrieben den Entstehungsprozess des Babys ganz anders, als wir das tun würden. David schreibt in Psalm 139,15, dass er »unten in der Erde« gebildet wurde und in Hiob 10,9 heißt es: »Bedenke doch, dass du mich aus Lehm gemacht hast.« Wie sollen wir angesichts der Wissenschaft diese Formulierungen verstehen? Wir lesen sie wahrscheinlich als bildhafte Beschreibung dafür, dass wir alle aus irdischem Material gemacht sind.
Auch der Verweis auf die Rolle des Zufalls bei der Entstehung eines Babys bringt uns nicht von dem Glauben ab, dass Gott uns geschaffen hat. Wir erkennen zwar an, dass der Zufall darüber entscheidet, welche Gene der Eltern in jede Ei- bzw. Samenzelle kommen und welche Samenzelle das Ei befruchtet, aber wir glauben, dass Gott der Herr über den Zufall ist und in all dem seine Ziele verfolgt.
Am meisten fordert uns wahrscheinlich der Hinweis heraus, dass bei der Entstehung eines Babys vieles schiefgehen kann: Ungefähr ein Drittel der befruchteten Eier sterben, ohne sich in die Gebärmutter einzunisten, oder sie nisten sich zwar ein, aber die Frauen erleiden eine Fehlgeburt. Es gibt Chromosomenaberrationen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) und Fehlentwicklungen wie siamesische Zwillinge. Dies stößt uns auf die Frage nach der Herkunft des Leids und erinnert uns daran, dass die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist und sich nach Erlösung sehnt, wie Paulus in Römer 8,21-23 schreibt.
Mit diesem Beispiel der Embryonalentwicklung sind im Kleinen die wichtigen Themen und Fragen angesprochen, um die es auch im Großen bei der Entwicklung des Universums, der Erde und des Lebens auf der Erde geht: In welchem Verhältnis stehen Gottes schaffendes Handeln und die naturgesetzlichen Abläufe zueinander? Wie passen wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entstehung des Universums sowie des Lebens und Bibeltexte über die Schöpfung zusammen? Wie lässt sich Gottes Allmacht und Güte mit der Allgegenwart von Leid und Tod vereinbaren?
In meinem Buchbeitrag werde ich auf diese Fragen eingehen und zeigen, dass die etablierten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die lange Geschichte des Universums und der Erde mit der Botschaft der Bibel nicht in Konflikt stehen. Letztlich kommen ja beide, die von der Wissenschaft erforschte Welt und die Bibel, von Gott. Diese Überzeugung steht auch am Beginn der modernen Wissenschaft.
1 Die Bibel und die Naturwissenschaften
Es gibt eine lange Tradition, die Natur mit einem Buch zu vergleichen. Frühe Naturwissenschaftler der Neuzeit wie Francis Bacon (1561–1626), Galileo Galilei (1564–1642) und Michael Faraday (1791–1867), die gläubige Christen waren, sprachen daher davon, d