Die Plus-One-Party
Fast wäre ich noch einmal umgekehrt wegen ihr. Als sie nicht auftauchte. Nicht ans Handy ging. Nicht auf meine Nachricht antwortete.
Aber ich hatte schon etwas getrunken, und mein Auto war zugeparkt, und es war mein Job, ein Auge auf alles zu haben. Ich hatte dafür zu sorgen, dass die Nacht glattlief.
Und überhaupt hätte sie mich ausgelacht, wenn ich zurückgekommen wäre. Hätte die Augen verdreht. GesagtIch hab schon eine Mutter, Avery.
Alles Ausreden, ich weiß.
Ich war als Erste auf der Aussichtsfläche angekommen.
Die Party fand dieses Jahr in einem Ferienhaus dort in der Sackgasse statt, in einem Drei-Zimmer-Haus am Ende einer langen mit Bäumen gesäumten Straße, kaum genug Platz, dass zwei Autos aneinander vorbeifahren konnten. Die Lomans hatten es Blue Robin genannt, wegen der blassblauen Schindelverkleidung und weil das quadratische Dach aussah wie das Oberteil eines Vogelhäuschens. Auch wenn ich fand, dass es eher passte, weil es ein wenig zurück zwischen den Bäumen lag, wie ein Farbblitz aus dem Abseits, den man nicht richtig sehen konnte, bis man direkt davorstand.
Es war nicht die schönste Lage oder die mit dem besten Ausblick – zu weit weg, um das Meer zu sehen, gerade nah genug, um es zu hören –, aber es lag am entferntesten von der Frühstückspension weiter unten an der Straße, und die Terrasse war umgeben von dicht an dicht gepflanzten immergrünen Sträuchern, sodass hoffentlich niemand etwas bemerken oder sich beschweren würde.
Die Sommerhäuser der Lomans sahen von innen sowieso alle gleich aus, von Besichtigungstouren kam ich manchmal ganz desorientiert zurück: eine Verandaschaukel statt der Steinstufen; das Meer statt der Berge. Jedes Haus hatte den gleichen Fliesenboden, den gleichen Granitton, den gleichen hochwertig-rustikalen Stil. Und alle Wände waren geschmückt mit Szenen aus Littleport: der Leuchtturm, die im Hafen tanzenden weißen Masten, die schaumgekrönten Wellen, die auf beiden Seiten an die Klippen schlugen. Eine untergegangene Küste wurde sie genannt – aus dem Ozean ragende Landzungen, die felsige Küstenlinie im Versuch, der Brandung standzuhalten, mit den Gezeiten in der Ferne auftauchende und wieder verschwindende Inseln.
Ich verstand es, wirklich. Wozu die langen Wochenendfahrten aus den Städten oder die zeitweiligen Umzüge während der Sommersaison; woher kam die Exklusivität eines Ortes, der so klein und bescheiden wirkte? Er war aus der unberührten Wildnis geschnitten, Berge auf der einen Seite, das Meer auf der anderen, nur zugänglich über eine einzige Küstenstraße und mit Geduld. Littleport existierte aus purer Sturheit, wehrte sich von beiden Seiten gegen die Natur.
Hier aufzuwachsen gab dir das Gefühl, du seist aus genau diesem Eisen geschmiedet.
Ich leerte die Kiste mit den übrig gebliebenen Alkoholika aus dem Haupthaus und stellte alles auf die Granitkücheninsel, räumte zerbrechliche Deko weg, schaltete die Poolbeleuchtung an. Dann schenkte ich mir einen Drink ein, setzte mich auf die hintere Terrasse und lauschte den Klängen des Ozeans. Ein kühle Herbstbrise huschte durch die Bäume, und ich zitterte, wickelte meine Jacke fester um mich.
Diese jährliche Party stand immer auf der Kippe von irgendetwas – ein letzter Kampf gegen den Wechsel der Jahreszeiten. Der Winter setzte sich einem hier in den Knochen fest, dunkel und endlos. Er kam, sobald die Gäste abgereist waren.
Aber zuerst noch das hier.
Eine weitere Welle barst in der Ferne. Ich schloss die Augen, zählte die Sekunden. Wartete.
Heute Nacht waren wir hier, um die Sommersaison auszuläuten, doch sie war bereits ins Meer hinausgespült worden, ohne uns um Erlaubnis zu bitten.
Luciana tauchte auf, gerade als die Party so richtig in Schwung war. Ich hatte sie nicht hereinkommen sehen, aber da stand