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Wenn er die Gardine seines Fensters mit einer Wäscheklammer feststeckte, konnte Lucio den neuen Nachbarn besser beobachten. Es war ein kleiner, dunkelhaariger Kerl, der eine Steinmauer ohne Lot hochzog, noch dazu mit freiem Oberkörper im kühlen Märzwind. Nachdem er eine Stunde auf der Lauer gelegen hatte, schüttelte Lucio kurz den Kopf, wie eine Eidechse ihrem regungslosen Mittagsschlaf ein Ende setzt, und löste seine erloschene Zigarette von den Lippen.
»Der da«, sagte er und gab damit schließlich seine Diagnose ab, »kein Lot im Kopf und keins in den Händen. Der folgt seinem eigenen Kompass. Gerad wie’s ihm passt.«
»Na, dann lass ihn doch«, sagte seine Tochter ohne große Überzeugung.
»Ich weiß, was ich zu tun habe, Maria.«
»Vor allem nervst du gern alle Welt mit deinen Geschichten.«
Der Vater schnalzte mit der Zunge.
»Du würdest anders reden, wenn du an Schlaflosigkeit leiden würdest. Neulich Nacht hab ich sie gesehen, so wie ich dich jetzt sehe.«
»Ja, das hast du mir erzählt.«
»Sie ging an den Fenstern im Obergeschoss vorbei, gespenstisch langsam.«
»Ja«, wiederholte Maria teilnahmslos.
Auf seinen Stock gestützt, war der alte Mann aufgestanden.
»Man hätte meinen können, sie warte auf die Ankunft des Neuen, sie hielte sich für ihre Beute bereit. Für ihn«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kinn auf das Fenster.
»Wenn du dem davon erzählst«, sagte Maria, »wird es ihm zum einen Ohr rein- und zum andern wieder rausgehen.«
»Was er damit anfängt, ist seine Sache. Gib mir eine Zigarette, ich mach mich auf den Weg.«
Maria steckte ihrem Vater die Zigarette direkt zwischen die Lippen und zündete sie an.
»Herrgott, Maria, mach den Filter ab.«
Maria gehorchte und half ihrem Vater in den Mantel. Dann schob sie ein kleines Radio in seine Tasche, aus dem knisternd kaum hörbare Worte drangen. Der Alte trug es immer bei sich.
»Sei nicht zu grob zu dem Nachbarn«, sagte sie, während sie ihm den Schal richtete.
»Der Nachbar hat schon Schlimmeres erlebt, glaub mir.«
Adamsberg hatte unter dem wachsamen Auge des Alten von gegenüber unbekümmert gearbeitet und sich immer wieder gefragt, wann er ihn wohl leibhaftig prüfen käme. Er sah, wie er mit wiegendem Gang den kleinen Garten durchquerte, groß und würdevoll, ein schönes, von Falten gefurchtes Gesicht, weißes, volles Haar. Adamsberg wollte ihm schon die Hand geben, als er merkte, dass der Mann keinen rechten Unterarm mehr hatte. Er hob seine Maurerkelle als