I
Der Mann stemmte die Beine fest gegen den Boden. Trotz aller Anstrengung rutschten seine nackten Füße auf dem glitschigen, steil ansteigenden Pfad wie auf Schlamm. Der reinstekalalou1, dachte er bei sich. Berge umringten ihn, schlossen ihn ein wie Gefängnismauern. Schöne Berge, ja, aber kahl wie räudige Hündinnen, und Bäume mit verstümmelten Ästen, das war es, was er vor sich sah. Er hob einen Fuß, ließ ihn abrupt wieder zurückfallen und schüttelte mutlos den Kopf.
Es braucht nicht viel, um das Geheimnis dieser Erde zu ergründen, dachte er, ihre Knochen stechen hervor wie die einer mageren Frau, und sie ringt mit dem Tod wie eine Schwindsüchtige in ihren letzten Stunden.
Die Sonne brannte unnachgiebig herab und ließ die Sträucher und kleinen Feldblumen verdorren.
«Schuld an all dem Übel sind die gefällten Bäume», sagte er, laut diesmal, «nicht einmal die Kalebassenbäume, die Bäume des Ogou2, haben sie verschont.»
In diesem Moment durchbrach ein unheilvoller Klagelaut, halb Schrei, halb Jammern, die Weite. Der Mann erschauerte, wandte den Kopf in Richtung des Schreis und ging weiter.
Sein glattes schwarzes Gesicht, hager wie das eines Asketen und von einem lockigen Bart umrahmt, seine Habichtsaugen und seine hochgewachsene, makellose Gestalt irritierten. Jung? Alt? Arm gewiss, das verriet seine zerlumpte Kleidung, aber zugleich auch reich, besaß er doch jenen Schatz, um den einen Mann alle Bewohner der Berge beneiden: diepwen3 des Ogou. Armut führt nicht zu Verzweiflung, wenn die allmächtige Kraft eines Vodou-Gottes seinen Diener beflügelt.4 Die Armut war eine alte Bekannte, er hatte Geschmack an ihr gefunden und so eifrig am Hungertuch genagt, dass ihm sämtliche Zähne ausgefallen waren: eine gerechte Strafe!
Nachdenklich schob er zwei Finger in seine weiten Nasenlöcher, aus denen fein verwobene weiße Haare ragten.
Seit wie vielen Jahren unternahm er nun schon zu Fuß die anstrengende Reise aus seinen heimatlichen Bergen5 nach Port-au-Prince? Er hatte gehofft, reich zu werden, doch auch diesmal kehrte er mit leeren Händen zurück: die Rache der Vodou-Götter.
Überall hatten die Männer ihre Ländereien verlassen. Bis auf Chérismé und Facius waren sie alle seinem verdammenswerten Beispiel gefolgt. Bittere Schuldgefühle, von denen er bald befreit sein würde, denn Ogou hatte ihn endlich erleuchtet und ihm im Traum mit der Spitze seines Säbels den Weg gewiesen. Den steilen, mit Fallstricken übersäten Weg der Pflicht, den er, mit unerschütterlichem Glauben gewappnet, gehen würde, ohne auch nur einmal Schwäche zu zeigen. Nach der Buße die Erlösung, und endlich würde er die Erfahrungen, die er im Kontakt mit der großen Stadt gesammelt hatte, nutzen können.
Er tastete nach dem leichten, aus Stroh geflochtenen Umhängesack an seiner Seite, dermakout6, die jeder Bauer stets bei sich trug, griff hinein, zog eine Pfeife heraus und schob sie sich in den Mundwinkel.
Er ließ sich Zeit, obwohl er erwartet wurde. Ja, er war sich sicher, dass die Frauen auf dem Pfad nach ihm Ausschau hielten. Wieder einmal hatte der Tod seinen Grund und Boden heimgesucht, davon zeugten die jetzt klar vernehmbaren Schreie. Er blieb stehen und richtete den Blick in die Sonne: Sofort traten ihm Tränen in die Augen. Diese Sonne! So heiß, als wäre man in der Hölle! Und traurig dachte er an den verkümmerten, vertrockneten Kaffee, die toten Pflanzungen. Das ist die Rache derlwa und desBondye.7 Ich hätte mein Land nicht verkaufen dürfen. Ein gelbes Zicklein gesellte sich leichtfüßig zu ihm und begann das Gras zu seinen Füßen zu rupfen. Sein leises Meckern vermischte sich mit den Schreien. Wer ist gestorben, mein Gott? Wer ist jetzt schon wieder gestorben, Ogou? Das schrille Zirpen einer Zikade erklang, und ein kleines Schwein rannte vorbei, verfolgt von einem Hahn mit tiefrotem Gefieder, der unvermittelt stehen blieb und seine prachtvollen Flügel streckte.
«Na gut», sagte er daraufhin und ging weiter.
Sogleich wurde er von ungeduldigen Händen gepackt, und vier Frauen klammerten sich an ihn.
«Oh w