: Florian Scheibe
: Paraiso Roman
: btb
: 9783641295318
: 1
: CHF 9.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Last Exit Ehetherapie - ein Paar kämpft um sein Überleben: erschütternd, fesselnd, gnadenlos ehrlich
In Aldea Paraiso, einem abgelegenen Dorf in Südspanien, haben zehn Paare ein exklusives Beziehungs-Coaching gebucht. Unter ihnen sind auch Manon und Thomas, die hier den letzten Versuch unternehmen, ihre Ehekrise in den Griff zu bekommen und ihre Familie zu retten. Anfangs sind sie befremdet von dem seltsamen Setting und dem unkonventionellen Ansatz, den der Leiter, Professor Blumberg verfolgt. Aber die Therapie scheint zu fruchten. Sie kommen einander wieder näher. Doch je länger ihr Aufenthalt dauert, desto mehr Fragen bedrängen sie: Woher weiß der Therapeut so gut über ihre Gefühle Bescheid? Was ist mit den Drohnen, die ständig über dem Dorf kreisen? Und was hat es mit dem Paar auf sich, das sie eines Abends zu sich einlädt? Noch ahnen sie nicht, dass die Nacht, die auf diesen Abend folgt, alles verändern wird ...

Florian Scheibe, geboren 1971 in München, hat Kulturwissenschaft, Geschichte und Filmregie studiert. Er lebt mit seiner Familie in Berlin, wo er als freier Autor arbeitet. Nach 'Der Biss' erschien bei btb zuletzt sein vierter Roman 'Paraiso'.

Eins


Alles beginnt mit dem Boot. Aber noch ist es kein Boot, sondern nur ein dunkler Fleck am Horizont.

Manon liegt auf der Luftmatratze, ihr Körper mit einem offenen Schlafsack bedeckt, und blinzelt gegen das Licht. Sie ist noch halb in ihrem Traum. Sie hört das Rauschen der Wellen, spürt die Wärme der Sonne und den Wind, der vom Meer herkommt. Aber vor allem spürt sie, dass sie allein ist. Gerade eben war er noch da, ganz nah, so nah wie seit Jahren nicht mehr. Und nun ist er weg. Wie verschluckt von der Sonne, dem Wind, den Wellen.

Sie hebt den Kopf. Betrachtet die kleine Bucht, den weißen Sand, die schützenden Felsen rechts und links und die steilen Klippen in ihrem Rücken. Vor sich sieht sie das offene Meer und an der Grenze zum Himmel diesen dunklen, tanzenden Fleck.

»Thomas?«

Entgegen ihrer Gewohnheit ruft sie seinen Namen auf Französisch. Ihre Muttersprache, die genau genommen die Sprache ihres Vaters ist, kommt von tief innen, ihre Stimme ist weich und vibriert in ihrem Brustkorb. Der Wind und die Wellen ersticken den Klang nach wenigen Metern. Sie ruft noch einmal, diesmal auf Deutsch, mit kurzem A und scharfem S, und nun schneidet der Name durch die Elemente – militärisch. Eine Befehlstonsprache, wie Manon sie oft nennt.

Keine Antwort.

Thomas bleibt verschwunden.

Plötzlich fühlt sie sich nackt in ihrem Slip und dem Unterhemd. Sie überlegt, ob sie sich anziehen soll. Stattdessen legt sie sich den Schlafsack um die Schultern, steht auf und geht auf das Meer zu. Der Sand ist warm, nur wenn sie die Zehen hineinsteckt, spürt sie noch den kühlen Morgen vor dem Sonnenaufgang, als Thomas und sie ihr kleines Lager in der Bucht aufgeschlagen haben.

Erst jetzt fällt ihr auf, dass Thomas’ Kleidung nicht mehr auf dem großen Stein liegt. Er hat sich angezogen und ist gegangen.

Der Fleck am Horizont ist näher gekommen. Manon beschattet ihre Augen mit der flachen Hand, kneift sie gegen die Sonne zusammen. Und mit einem Mal ist da kein Fleck mehr, sondern das Boot. Es ist ein Schlauchboot. Dicht gedrängt sitzen Menschen darin, schwarze Männer, mit dunklen Jacken, Kapuzen und orangefarbenen Schwimmwesten. Die meisten von ihnen sind ihr abgewandt. Aber einer steht aufrecht und schwenkt etwas, das aussieht wie eine schwarze Fahne.

Eine Welle überspült Manons Füße und greift nach ihren Knöcheln. Manon erschrickt, macht einen Schritt zurück. Zugleich will sie nach vorn, will winken und rufen, auf einen Felsen klettern und sich bemerkbar machen. Sie will sich hinter den Klippen unter ihrem Schlafsack verstecken und die Luft anhalten. Sie will sich ins Meer stürzen. Sie will zur Straße rennen, Hilfe holen, will fliehe