Schöner scheitern
Noch nie war ich in einem sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis.
Und das ist auch gut so!
Mit zwölf Jahren hatte ich nur eine Verpflichtung: einmal in der Woche den Knöterich im Garten zu schneiden, dafür bekam ich fünf Mark.
Allein der Gedanke an diese gebotene Regelmäßigkeit hat mich in eine schwere Teilnahmslosigkeit oder wahlweise in einen obsessiven Sortierwahn meiner exorbitant exquisiten Hörspielkassettensammlung fallen lassen. Keine fünf Mark konnten das ändern. Die Lehre, die ich daraus zog, war wertvoll:
Die Sache mit dem Geld ist okay, wenn man sein Essen noch nicht selbst verdienen und keine Steuererklärungen machen muss. Und kein Geld der Welt würde mich jemals dazu bringen, regelmäßig Knöterich zu schneiden.
Die Kehrseite der Medaille: Ich weiß bis heute nicht, was ich in das erste Feld nach meinem Namen und dem Geburtsdatum auf den Anamnesebogen schreiben soll, wenn ich mich irgendwo in einer Praxis als Neupatientin vorstelle.
Was ist mein Beruf?
Alles, was mir im Leben wichtig ist, was mir Freude macht oder in mir dringlich brennt, habe ich zu meinem Job gemacht. Und somit bin ich Plattdeutsch-Aktivistin, professionelle Fragestellerin, Labertasche, Klassenclown, Hupfdohle, Musikerin, Berufslesbe und Wiesnöös – ein Naseweis, ein/e Klugscheißer*in. Die einzige große Leidenschaft, die ich nicht zum Beruf gemacht habe, ist das Kochen. Und es war verdammt knapp, dass es nicht dazu gekommen ist. Fast wäre ich doch über den Töpfen und am Kochlöffel gelandet. Ich hab gerade noch einmal die Kurve gekriegt und mir so einen letzten Ruheort bewahrt. Die Hobbys, Betroffenheiten und Dringlichkeiten zum Beruf zu machen bedeutet nämlich auch, dass eigentlich alles, was ich so tue, Arbeit ist. Aber wenn etwas Spaß macht, dann fühlt es sich nicht nach Arbeit an? Mit Verlaub: Das ist Bockmist!
Moabiter Kissen sind quer zur Fahrtrichtung angeordnete bauliche Erhebungen auf der Fahrbahn, die zu einer Geschwindigkeitsdämpfung führen und damit zur Verkehrsberuhigung beitragen sollen. Diese kissenartige Bremsschwelle wird oft auch Berliner Kissen genannt. (Wikipedia)
Seit elf Jahren wohne ich in Moabit, Berlin. Ich kenne mich also mit Bremsschwellen aus. Meine Straße ist voll davon. Die Straße, in der ich wohne, ist die Verbildlichung meines ganzen Lebens. Dabei hießen diese Tempohemmschwellen für mich bislang jedoch nicht Moabiter Kissen, sondern Diabetes, Depression, mangelnde Zertifikate, Barrieren, Krankenhausaufenthalte und männlich dominierter Klüngel.
Mein Wikipedia-Eintrag liest sich für manch einen wie eine Biografie des Scheiterns. Und ganz ehrlich, da steht nur ein Bruchteil dessen, aus dem sich kein repräsentabler Lebenslauf basteln lässt. Und das »Warum«, die ganze Zerrissenheit, die Fragen, wo die Reise hingehen soll, das steht da nicht drin.
Ja, ich gebe zu, mein Weg ist ungefähr so gradlinig wie der einer Katze, die versucht, den tanzenden Punkt eines Laserpointers zu jagen. Und da das kein Weg ist, den wir als Gesellschaft gemeinsam als erstrebenswert akzeptiert haben, war es für mich kein leichtes Unterfangen, mich abseits eines linearen Karrierepfads zu behaupten. Und zwar zu keinem Zeitpunkt. Bis heute.
Ich bin ja nun mal eigentlich beruflich auch lustig, daher hier kurz die Pointe vorweg: Bis heute habe ich keinen Berufsabschluss!
Eltern ziehen panisch ihre Kinder weg von mir, aus Angst, ihr hoffnungsvoller Nachwuchs könnte Gefallen an meinem Lebensweg finden. Weil ich mit meinen vierzig Jahren bauchfrei und mit Cappy auf dem Kopf vor ihnen sitze und so viel cooler als ihre Eltern bin, aus dem einzigen Grund, weil ich eben einfach nicht ihre Eltern bin. Doch liebe Grüße an alle erziehungsberechtigten Leser*innen:
Keine Sorge! Entwarnung! Ich bin nicht auf Mission für Ausbildungs- und Studienabbrüche.
Das warmein Weg. Vielleicht könnte es auch der eurer Kinder sein, doch das müssen die ganz allein herausfinden. Es geht darum, den eigenen Weg zu finden, sich dabei mitzunehmen und im Blick zu haben.
Nie hatte ich ein berufliches Ziel, zumindest kein ernst zu nehmendes. Als ich sieben Jahre alt war, wollte ich Tänzerin im Zirkus werden, und fand mich mit dreizehn zu alt, um noch als Wunderkind oder Kinderstar entdeckt zu werden. Danach kam lange nichts, keine wirklichen beruflichen Wünsche, denn ich war ja nicht bei bester Gesundheit. Allein zwischen dem19. und23. Lebensjahr war ich fünfzehnmal stationär im Krankenhaus, zweimal davon länger als drei Monate. Ganz ehrlich, ich dachte, ich müsste auch nicht wissen, was ich mal werde, wenn ich groß bin – denn so wie es aussieht, werde ich gar nicht groß. »Ich werde höchstens zweiundzwanzig«, das habe ich immer gedacht.
Ich wurde zweiundzwanzig. Und ich lebte. Völlig unvorbereitet auf dieses Leben. Ohne Ziele, ohne Wünsche, ohne Träume stand ich da.
Die Frage, wer oder was ich mal sein will, wenn ich mal groß bin, war für mich immer ein Spiel gewesen. Und jetzt sollte ich mich für nur eine Sache, einen Beruf entscheiden. Und diesen dann in einer mindestens dreijährigen Ausbildung oder einem mehrjährigen Studium erlernen. Damit habe ich mich so schwergetan. Es fühlte sich für mein doch nur auf eine Lebenskurzstrecke ausgelegtes Hirn an wie eine verschwendete Ewigkeit.
Und so habe ich dann ohne Masterplan zu allem Ja gesagt, wo mich das Schicksal so hinstellte. Wirklich zu allem. Ich habe mal in einem verlassenen, unterirdischen Hilfskrankenhaus in einer Bunkeranlage in Oldenburg bei einer Theaterdarbietung