»Erzähl mir mal deine Geschichte.«
»Ich hab keine Geschichte.«
»Komm, jeder Mensch hat seine Geschichte.
Nun rück schon raus mit deinem Waisenhaus,
deiner Ehe, deinen Selbstmordversuchen …«
»Ich mag diese Geschichten aber nicht.
Du brauchst nichts von mir zu wissen.
Ich wollte auch nichts von dir wissen,
bis du mit deinem Wahnsinn angefangen hast.«
Jörg Fauser in Der Schneemann1
Eine junge Frau. Die ersten Kohlmeisen stehen gerade auf, beginnen vergnügt zu zwitschern, die Frau kommt von der Nachtschicht. Schließt die Haustür auf, geht mehrere Stockwerke hoch zur kleinen Wohnung unterm Dach. Erschöpft und ausgelaugt. Zu müde, um das alles langweilig zu finden. Ihr Freund ist wach. Nicht schon, sondern noch. Wohl auf Amphetamin, Speed. Ritalin, um genau zu sein. Wach und vorm Spiegel. Geschminkt und bemalt, in Unterwäsche. Ihrer. Irgendwas, Strapsgürtel, vielleicht ein Unterrock. Eine merkwürdige Begebenheit, das Bild in der Erinnerung verbuddelt wie Sachen, die man im Morgenrot eben schnell wegstopft und vergisst, jahrelang. Die man nie jemandem mitteilt.
Wenige Jahre vorher, schwer verliebt in England, schreibt der junge Mann seinemVater, »vielleicht ist die wichtigste Erfahrung die einer nahtlosen Gespaltenheit in allem, was ich tue«.2
Etliche Jahre später, alsRebell im Cola-Hinterland im Jahr2004 erscheint, ist in einer überregionalen Zeitung zu lesen, »Fauser wäre heute60 Jahre alt und vergessen – wenn er noch lebte«