1. Kapitel
Immerhin, ich habe einen neuen Mandanten, dachte Fentje Jacobsen. Sie sah Kurt Regner nach, wie er in seinen Wagen stieg, schwungvoll wendete und dann rasch den schmalen Weg in Richtung Hauptstraße davonfuhr. Er hatte ein paar Geschwindigkeitsübertretungen angesammelt, die der aufbrausende Mann nicht mit einem Fahrverbot büßen wollte. Die Ausübung seines Berufs und damit das Wohl seiner Familie hingen davon ab, hatte er argumentiert. Doch das war recht weit hergeholt.
Für das Wohl der Allgemeinheit war es nicht einmal wünschenswert, wenn sie den Fall für den notorischen Raser gewann. Ein hohes Honorar sprang auch nicht dabei heraus, doch Fentje konnte es sich nicht leisten, bei der Auswahl ihrer Mandanten wählerisch zu sein.
Ihre finanzielle Zukunft sah zurzeit nicht allzu rosig aus. Ihre Kanzlei dümpelte auch nach knapp zwei Jahren ihrer Existenz so vor sich hin, sowohl was die Anzahl ihrer Mandanten als auch was ihre Einnahmen betraf. Fentje gab sich noch ein weiteres Jahr. Dann würde sie eine Entscheidung darüber treffen müssen, ob die Idee, die Kanzlei vom Schafhof ihrer Großeltern aus zu betreiben, zukünftig tragbar war.
Von ihrer erhöhten Position auf der Warft, dem Hügel, auf dem das Haus der Jacobsens stand, hatte Fentje einen guten Überblick. Das Grünland um sie herum war ansonsten platt wie ein Eierkuchen. Ihr neuer Mandant bremste scharf und hätte sein Auto dabei beinahe in den Graben bugsiert. Ihrem Großvater wäre es wahrscheinlich eine Freude gewesen, den Wagen mithilfe von »Tomme«, dem alten Trecker der Familie, aus einer solch misslichen Lage zu befreien.
Jetzt erkannte Fentje auch die Ursache des abrupten Fahrmanövers. Ihr Mandant war ihrer Nichte Sofia ausgewichen, die ihm offenbar auf dem Fahrrad entgegengekommen war. Jedenfalls bog diese nun freihändig radelnd auf den Hofplatz. Fentje gab ein leises Stöhnen von sich. Sofia tippte auf ihrem Tourenrad fahrend auf dem Handy herum. Doch sie wollte nicht quer über den Hofplatz brüllen. Sie wartete ungeduldig, bis ihre Nichte das Rad abgestellt hatte und auf sie zu getrottet kam. »Hi, Sofia. Du bist ja früh dran heute.«
»Die blödeAG habe ich ausfallen lassen«, antwortete das Mädchen, ohne den Blick zu heben.
»Warum das denn?«
»Nur so. Kein Bock.«
Normalerweise liebte Sofia ihre Schauspiel-AG. »Komm bitte einen Moment mit zu mir herein.« Fentje deutete in Richtung Küchenfenster.
Nun hob ihre Nichte doch den Kopf. »Warum?« Ein angedeutetes Augenrollen. »Na, meinetwegen.«
Sie wohnten alle zusammen mit Fentjes Großeltern und Sofias Vater Bendix auf dem alten Jacobsen-Hof. Es gab hier reichlich Platz, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen. Den ehemaligen Stall hatte Fentje sich zu einer abgeschlossenen Wohnung mit Kanzleiräumen umbauen lassen. Vor einiger Zeit war auc