„Celia! Jetzt komm schon! Wir müssen nicht die Letzten sein, die da auftauchen!“ Wäre es nach meiner Mutter gegangen, wären wir mit Sicherheit die Allerersten gewesen, die den Rasen unserer neuen Nachbarn betreten hätten. Aber ich hatte nicht die geringste Lust, den Rasen überhaupt zu betreten.
„Ich tauche nirgendwo auf!“, rief ich und schloss prophylaktisch meine Zimmertür ab. Keine fünf Sekunden später rüttelte es am Türknauf.
„Celie! Was soll das denn? Ständig jammerst du, dass du dich langweilst. Dann passiert endlich mal was und du machst dicht!“
Phase 1 im Mutter-Tochter-Konflikt war damit eingetreten. Gekennzeichnet durch hörbare Verstimmung, während aber noch mit Argumenten gearbeitet wurde.
Das Blöde war: Mum hatte ja recht. Nach mittlerweile fast vier Jahren in Trockenstedt war ich derart ausgehungert nach allem, was das Leben interessanter machte, dass ich normalerweise mit Freuden aufjede Party gegangen wäre. Na ja, außer vielleicht auf eine Party von Siegfried Strötz am Ende der Straße. Aber verbitterte Rassisten geben eh selten Partys.
Doch heute war selbst mir nicht nach Feiern zumute. Am Montag fing die Schule wieder an und das Aufregendste würden neue Bücher und ein paar ausgewechselte Lehrkörper sein. Meine Eltern hatten mir schon vor Ewigkeiten versprochen, in „das Land unserer Ahnen“ (Brasilien!) zu reisen. Aber auch nach diesen Ferien lagen mal wieder nur drei Wochen Schweden hinter mir. Ich konnte Köttbullar und Zimtschnecken für den Rest meines Lebens nicht mehr sehen und war völlig deprimiert. Seit fünf Wochen war ich fünfzehn, aber erlebt hatte ich in diesen fünfzehn Jahren nichts. Freiheit! Spaß! Abenteuer! Nichts davon passierte, wenn man in Trockenstedt wohnte. Warum hatte sich Mom damals auf diesen Deal eingelassen? Wir hatten früher mitten in Berlin gelebt!
„Och Cilly-Billy, bittebittebitte“, flehte meine Mutter.
Phase 2. Wie immer, wenn die autoritäre Tour versagte, griff Mum zu weinerlichem Tonfall und albernen Spitznamen. „Du kannst mich nicht mit Christian alleine dahin lassen!“
Das war zugegebenermaßen ein gutes Argument. Papa konnte sich in Gesellschaft einfach nicht benehmen.
„Und was soll ich denn Sophia sagen?“, fragte Mum nun. „Sie wird bestimmt enttäuscht sein.“
Auch ein guter Versuch. Aber da kannte ich meine beste Freundin besser.
„Soff ist garantiert nicht auf dieser Party“, stellte ich klar.
Ich wusste, dass Sophia Partys nicht mochte – na ja, eigentlich hatte sie sogar Angst davor. Sie hatte so ziemlich vor allem und jedem Angst. Und außerdem hätte ihr Vater sie da niemals hingelassen. Kurt Cauder war der Letzte – außer dem alten Strötz vielleicht –, der sich von neuen Nachbarn zu einer Feier einladen ließ. Schon gar nicht, wenn keine achtundvierzig Stunden zwischen Event und Einladung lagen. Die Lurkings hatten die Einladung nämlich erst gestern allen aus der Nachbarschaft gebracht – zusammen mit einer Flasche Sekt und einem (zugegebenermaßen total leckeren) Gugelhupf. Eine Beamtenseele wie Herr Cauder brauchte mindestens vier Wochen, um Vorteile, Nachteile und natürlich Risiken einer solchen Feier vernünftig analysieren zu können.
„Doch, Sophia ist da!“, widersprach Mum. „Sie ist gerade mit ihrem Vater zum Gartentor rein.