Kapitel 2
Das rhythmische Aufblitzen der Scheinwerfer verschmolz zu gleichförmiger Klarheit. Ich blinzelte in den mit Tageslicht erfüllten Raum. Um mich die Wärme des Schlafes. Es roch nach Kaffee.
Die Matratze stöhnte leise, als ich aufstand. Die Hose und das Hemd an meinem Körper brachten die Erinnerung an den gestrigen Tag zurück. Man hatte mich in dieses Zimmer gebracht, mir Schuhe und Socken ausgezogen und mich ins Bett gelegt. Italienisch. Ein Mann, eine Frau.
Wärme.
Ich trat zum Fenster und schob den mit großen bunten Blumen bedruckten Vorhang zur Seite.
Gegenüber eine durchgehende Häuserfront mit Schaufenstern im Erdgeschoss, unter mir die Straße, Autos am Gehweg, verschneit. Die Sonne über den Dächern nur als helles Leuchten hinter einer durchgehenden Wolkendecke.
Meine Reisetasche stand auf dem Boden hinter der Zimmertür. Ich kramte Bürste und Zahnpasta heraus, trat an das Waschbecken und begann, die Zähne zu putzen.
Nach dem Ausspülen schlug ich mir ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht. Eine Angewohnheit seit Kindertagen und eine bewährte Methode, um rasch wach zu werden. Dann erst der erste richtige Blick, der normalerweise eher flüchtig und unbewusst vorübergeht.
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich gleich zu Tagesbeginn im Spiegel ausführlich betrachten. Es war mir nie wichtig, wie zerknittert oder gealtert oder attraktiv ich aussah. Die seit Jahren grassierende Mode, dass Männer ihr Aussehen mit allerlei straffenden, schützenden, nährenden, duftenden Cremes und Wässern glaubten beeinflussen zu müssen und zu können, war mir bis heute unverständlich und fremd geblieben. Ich war mir sicher, dass Belmondo, Adorf oder Connery einen guten Teil ihrer Attraktivität dem Umstand verdankten, dass sie der Natur weitgehend ihren Lauf ließen.
Ich weiß nicht, was es war, dass ich heute ein paar Momente länger vor dem Spiegel stehen blieb als üblich. Meine hellbraunen Haare, in denen sich vereinzelte Silbersträhnen abzeichneten, strebten reichlich zerzaust in alle Richtungen. Die kleinen Säckchen unter den Augen waren wie in jeder Nacht etwas größer geworden, Wangen und Kinn zierten dunkelblonde Bartstoppeln. Die Haut blass mit ein paar wenigen hellbraunen Flecken. Ein ganz normaler Mittvierziger, der den Großteil seines Lebens in Bibliotheken, Seminarräumen, Museen und Kirchen verbracht hatte, ein Gesicht so spannend wie die Zeitung von gestern.
Ich sah auf die Uhr, es war kurz vor 7.30 Uhr. Im Haus war es ruhig. Ich räumte meine Sachen in die Tasche, kippte das Fenster und trat hinaus auf den Flur.
Im dämmrigen Morgenlicht sah ich ein paar weitere Türen, die der glichen, hinter der ich die Nacht verbracht hatte. Auf Augenhöhe waren kleine ovale Messingschildchen mit der Zimmernummer angeschraubt.
Am Ende des Ganges hing ein protziger Spiegel mit mehrfach verziertem Goldrahmen, der überhaupt nicht zu der ansonsten eher zweckmäßigen Ausstattung passte. Die Grünlilie auf der Kommode darunter teilte sich den Platz mit einem Strauß rot-weißer Plastikblumen, dazwischen ein Stapel großzügig ausliegender Hausprospekte. Sie bestätigten meine verschwommenen Erinnerungen an den gestrigen Abend