: Jon Fosse
: Das ist Alise
: mareverlag
: 9783866488380
: 1
: CHF 10.50
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: Erzählende Literatur
: German
: 120
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In einem Haus an einem Fjord liegt Signe, eine alte Frau, auf einer Bank und sieht sich selbst als junge Frau durch die Räume gehen. Sie sieht sich am Fenster stehen und auf das Wasser blicken. Sie sieht ihren Mann Asle, den es in seinem kleinen Boot immer wieder auf den Fjord hinauszog, bis er eines Tages nicht zurückkehrte. In dem alten Haus, das erfüllt ist von den Stimmen seiner ehemaligen Bewohner, traumwandelt Signe durch die Vergangenheit und begegnet den vorangegangenen Generationen der Familie - bis zurück zu Asles Ururgroßmutter Alise, die in der Nacht am Ufer ein Feuer hütet. Denn schon damals hatte es einen gegeben, der nie mehr vom Fjord zurückkam.

Jon Fosse, 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geboren und am Hardangerfjord aufgewachsen, gilt mit seinem vielfach ausgezeichneten und in über 40 Sprachen übersetzten literarischen Werk als einer der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit. Seine mehr als 30 Theaterstücke werden weltweit aufgeführt. Er lebt heute in der »Grotte«, einer Ehrenwohnung des norwegischen Staates am Osloer Schlosspark, in Frekhaug bei Bergen und in der niederösterreichischen Gemeinde Hainburg an der Donau. 2023 erhielt Jon Fosse den Nobelpreis für Literatur.

Ich sehe Signe auf der Bank liegen dort in der Stube und sie blickt auf all das Altgewohnte, den alten Tisch, den Ofen, die Holzkiste, die alte Wandvertäfelung, das große Fenster zum Fjord hin, sie blickt darauf, ohne es zu sehen, und alles ist wie immer, nichts ist verändert, trotzdem ist alles anders, denkt sie, denn seit er verschwunden und nie wiedergekommen ist, ist nichts mehr, wie es war, sie ist einfach hier, ohne hier zu sein, die Tage kommen, die Tage gehen, die Nächte kommen, die Nächte gehen und sie folgt mit ihren langsamen Bewegungen, ohne dass irgendetwas besonders oder außergewöhnlich ist, und weiß sie, was für ein Tag heute ist?, denkt sie, ja, es ist wohl Donnerstag und der Monat ist März, und das Jahr, das Jahr ist 2002, so viel weiß sie, so viel schon, aber welches Datum heute ist und so was, nein, das will ihr nicht einfallen, und warum eigentlich auch? was hat das schon zu bedeuten?, denkt sie, sie braucht das nicht zu wissen, sie kann trotzdem sicher und schwer in sich selber ruhen, so, wie sie war, bevor er verschwunden ist, aber dann packt sie das wieder, dass er verschwunden ist, an dem Dienstag damals, Ende November, 1979, und sofort ist sie wieder in dem Leeren, denkt sie und sie blickt zur Flurtür und die geht auf und dann sieht sie sich selber hereinkommen und die Tür hinter sich zumachen und dann sieht sich selber in die Stube gehen, sie bleibt stehen und sie blickt zum Fenster, und dann sieht sie sich selber, wie sie ihn anblickt, und er steht am Fenster und sie sieht, wie sie im Zimmer steht, dass er ins Dunkle hinausschaut, mit seinem langen schwarzen Haar und in seinem schwarzen Pullover, dem Pullover, den sie selber für ihn gestrickt hat, und er trägt ihn fast immer, wenn es kalt ist, er steht da, denkt s