: Miranda July
: Auf allen vieren Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462302837
: 1
: CHF 22.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Miranda July ist eine der aufregendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Ihre Kinofilme, Kunstaktionen und ihre Bücher werden weltweit gefeiert und sehnsüchtig erwartet. Ihr neuer Roman »Auf allen vieren« beweist erneut, dass diese Autorin ihresgleichen sucht.  Eine mittelmäßig bekannte Künstlerin schenkt sich selbst zum 45. Geburtstag einen Trip von der Westküste der USA nach New York. Sie möchte sich selbst etwas beweisen und plant die Tour alleine mit dem Auto, raus aus der Komfortzone. Nach zwei Wochen muss sie wieder zurück sein, bei Mann und Kind, aber vor allem, weil die größte lebende Popsängerin sie treffen möchte, um über ein gemeinsames Projekt zu sprechen. Doch weit soll sie nicht kommen. Wenige Kilometer von ihrem Vorstadthaus entfernt, verliebt sie sich vermeintlich in den Mann, der ihre Autoscheibe an der Tankstelle saubermacht, Davey. Sie mietet sich in einem billigen Motel ein, lässt ihr Zimmer von Daveys Frau völlig neu einrichten und imaginiert sich in ein anderes Leben hinein.  Ein großer Roman über Weiblichkeit abseits der Norm und Lust außerhalb von Konventionen.

Miranda July, 1974 in Barre (Vermont) geboren, ist Filmemacherin, Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Arbeiten wurden schon im Museum of Modern Art und auf der Biennale in Venedig gezeigt. Bei den Spielfilmen »Ich und du und alle, die wir kennen« (2005) und »The Future« (2011) schrieb sie das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. »Zehn Wahrheiten«, ihr Debüt als Autorin, wurde mit dem Frank O'Connor-Preis ausgezeichnet, dem höchstdotierten Kurzgeschichtenpreis der Welt. Sie entwickelte die Messaging-App »Somebody«, die Nachrichten nicht elektronisch übermittelt, sondern Personen in der Nähe sucht, um diese persönlich zu überbringen. Miranda July lebt in Los Angeles.

TEIL EINS


1. Kapitel


Ich will Sie ja nicht beunruhigen, so begann die Nachricht, wirklich ein unschlagbarer Einstieg. Doch, bitte! Beunruhigen Sie mich! Ich warte schon mein Leben lang darauf, von so einer Nachricht beunruhigt zu werden.

Ich will Sie ja nicht beunruhigen, aber anscheinend hat jemand mit einem Teleobjektiv durch Ihr Fenster fotografiert. Wenn Sie denjenigen kennen, dann verzeihen Sie das Missverständnis, aber für den Fall, dass nicht, habe ich mir Farbe/Modell/Kennzeichen des Fahrzeugs notiert.

Brian (von nebenan) und seine Telefonnummer.

Man braucht eigentlich kein Teleobjektiv, denn wir haben nach vorn raus große Fenster ohne Gardinen. Manchmal bleibe ich kurz stehen, bevor ich reingehe, und sehe Harris und Sam zu, wie sie ahnungslos tun, was sie eben gerade tun. Harris, wie er Sam lautlos irgendetwas erklärt, Sam hochhebt. Wenn ich die beiden so sehe, wird mir warm ums Herz.Merke dir dieses Gefühl, sage ich mir.Es sind von Nahem dieselben Menschen wie von hier.

Wir wussten alle sofort, welcher Nachbar Brian war. DerFBI-Nachbar. Wenn wir irgendetwas von Brian gelernt hatten, dann, dass man eine Anstellung beimFBI nicht geheim hielt wie etwa eine bei derCIA. Er trägt seine (schusssichere?)FBI-Weste, auf der großFBI steht, sehr viel öfter, als es Dienstpflicht sein kann. So, als würde jemand von den Dodgers seine Uniform auch zum Rasensprengen tragen, sodass bald alle Nachbarn denken, Ja, Mann, wir haben’s kapiert, wir wissen, dass du bei den Dodgers bist.

Nachdem ich Harris also die Nachricht vorgelesen hatte, kam von ihm als Erstes die spöttische Bemerkung,natürlich habe unserFBI-Nachbar jemanden mit einem Teleobjektiv »erwischt«. Und danach gar nichts mehr. Er war beschäftigt, und für ihn war die Sache damit erledigt.

»Ein bisschen unheimlich ist es aber schon, findest du nicht?«

»Die Leute fotografieren doch alles Mögliche heutzutage«, sagte er und ging aus dem Zimmer.

»Meinst du, ich soll ihn trotzdem anrufen?«

Aber Harris hörte mich nicht mehr.

»Wen anrufen?«, fragte Sam.

Da stand ich nun mit dem Zettel in der Hand und fühlte mich irgendwie im Stich gelassen, was einem im familiären Umfeld ungefähr tausendmal am Tag passiert. Mir war zum Heulen zumute, aber warum eigentlich? Ich musste mit meinem Mann nicht alles bis ins Detail durchkauen, wozu hatte man Freundinnen? Zwischen Harris und mir geht es förmlicher zu, wie bei zwei Diplomaten, die nie sicher sein können, ob der andere nicht ihren Drink vergiftet hat. Die ewig Durst haben, aber immer wollen, dass der andere den ersten Schluck nimmt.

Du zuerst.

Nein, du zuerst!

Nein, nach dir, bitte.

So ein Eiertan