: Marco Wehr
: Komplexe neue Welt und wie wir lernen, damit klarzukommen
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462310849
: 1
: CHF 23.00
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Warum ist in unserer Welt alles so kompliziert geworden? Marco Wehr analysiert, wo Komplexität in der Natur der Sache liegt und an welchen Stellen die Menschheit sich auch selbstverschuldet ins Chaos manövriert. Und er zeigt Wege auf, wie man am besten damit umgeht. Das weltumspannende Internet, globale Lieferketten und eine empfindliche Energieinfrastruktur sind nicht nur die Grundlage von Wohlstand, sie machen die Zivilisation auch verletzlich. Schon die nur sechs Tage dauernde Havarie der »Ever Given« im Suezkanal brachte die Weltwirtschaft zum Stottern. Und im globalen Kommunikationsraum interagierende Algorithmen können ein unberechenbares Eigenleben entwickeln - geschehen etwa bei einem der größten Börsencrashs des letzten Jahrhunderts, dem »Black Monday« am 19. Oktober 1987. Aber auch den Fall, dass unvermeidbare Naturkatastrophen die lebensnotwendige und empfindliche Infrastruktur schädigen, sollten wir bedenken. Was passiert, wenn durch ein Erdbeben, das unterirdische Schlammlawinen auslöst, empfindliche Datenkabel des Internets zerstört werden? Und sind wir auf den Ausbruch eines Supervulkans vorbereitet? Werden Solarmodule und Windkrafträder dann noch genug Energie liefern und die Ernten reichen, um die Menschen zu ernähren? Marco Wehr durchdenkt diese Prozesse grundlegend, entwirrt die verwickelten Knäuel des Komplexen und zeigt uns, an welchen Fäden wir ziehen müssen, um zu einem sichereren und zufriedeneren Leben zurückzufinden. Ein längst überfälliges, augenöffnendes Buch über die Dynamiken und die versteckten Gefahren einer hochkomplexen technisierten Welt und ein Appell, darin das menschliche Maß nicht zu verlieren.

Marco Wehr, geboren 1961, ist Physiker, promovierter Philosoph sowie Gründer und Leiter des Philosophischen Labors in Tübingen. Als vielfach ausgezeichneter Autor und Redner beschäftigt er sich mit Fragen der Vorhersehbarkeit, der Komplexität und der Beziehung von Gehirn und Computer. Er schreibt u.a. für die FAZ und veröffentlichte vieldiskutierte Bücher etwa über die Chaostheorie und die Bedeutung der Hand für das menschliche Denken.

Wie die Welt zu einem Buch mit sieben Siegeln wird


Was bringt es, sich mit Komplexitätsfallen zu beschäftigen? Ist das mehr als ein gelehrtes Glasperlenspiel?

Im Universum der Telefontarife die Orientierung zu verlieren mag lästig sein, und es ist mühsam, sich optimal zu entscheiden. Aber das sind harmlose Seiten der Vielfalt. Verzweifelte junge Menschen, denen verschachtelte Möglichkeitsräume zu undurchsteigbaren Labyrinthen werden, scheinen schon ein dringlicheres Problem zu haben. Aber ist das alles? Definitiv nicht. Bisher bewegen wir uns nur an der Oberfläche eines tiefgründigen Phänomens, und die angeführten Beispiele sind nicht repräsentativ. Sie wurden aus Gründen ihrer Anschaulichkeit an den Anfang gestellt.

Andere Komplexitätsfallen bergen tiefere Abgründe. Und dort lauern mitunter tödliche Gefahren, die nicht nur den Einzelnen betreffen können. Es sind auch Szenarien denkbar, in denen Millionen Menschen zu Opfern werden. Vor diesem Hintergrund ist es ein Gebot der Vernunft, sich intensiv mit Komplexitätsfallen auseinanderzusetzen.

 

Weiten wir deshalb die Perspektive! Nicht nur der chaotische Alltag zehrt an den Nerven. Die Allgegenwärtigkeit von Nachrichten aller Art erinnert uns auch daran, dass wir als Individuen in übergeordnete Kausalzusammenhänge eingewoben sind, die unser Schicksal maßgeblich beeinflussen. Komplexitätsfallen, wohin das Auge blickt.

So machen uns der bedrohliche Klimawandel, das globale Wirtschaftssystem mit seinen sorgsamst choreografierten weltumspannenden Lieferketten, das von Megacomputern getriebene internationale Finanzsystem, in dem Aktiengeschäfte im Mikrosekundentakt getätigt werden, und das verworrene Rechtssystem der Europäischen Union, bestehend aus von gewöhnlichen Sterblichen nicht mehr zu dechiffrierenden Gesetzeswerken, zu unscheinbaren Rädchen in einem Getriebe, dessen Mechanik wir nicht mehr wirklich verstehen, in dem zu leben wir aber gezwungen sind.

Zu allem Überfluss entfaltet eine hyperkomplexe Informationsinfrastruktur, die Milliarden Menschen in einen instantanen Kommunikations- und Kausalzusammenhang bringt, eine mit dem Verstand kaum mehr zu fassende Dynamik. So wird uns die Welt zu einem Buch mit sieben Siegeln. Wir können nicht nachvollziehen, wie sich eine ohnehin schon schwer zu verstehende natürliche Umwelt mit dem vom Menschen geschaffenen Gewirr kultureller Errungenschaften verschachtelt.

 

Wie kann man das ändern? Wie soll man das illustre Spektrum verschiedener Komplexitätsfallen kategorisieren, um es fassbar zu machen? Dazu bieten sich in einem ersten AnlaufNatur undKultur als dichotome Begriffe an.

Natürliche Komplexitätsfallen, das sind die altbekannten Schreckensgesichter, die auch heute wenig von ihrer Furcht einflößenden Wirkung verloren haben: Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis, Sturmfluten, Seuchen, Dürren und Überschwemmungen. Diese haben seit jeher in schicksalshafter Weise die Geschicke der Menschheit beeinflusst. Sie sind durch moderne Technik auch nur in Teilen vorhersehbarer geworden.

 

Doch unabhängig von der historischen Vertrautheit mit dem Unberechenbaren, zu der schon immer vorhandenen Rätselhaftigkeit der natürlichen Lebenswelt gesellt sich eine neue Form vomMenschen erschaffener Komplexität.

Diese zeigt eine verstörende Doppelgesichtigkeit. Auf der einen Seite ist sie in wichtigen Teilen Grundlage eines historisch gesehenen unvergleichlichen Wohlstands, den viele Menschen zumindest in den Industrie- und Schwellenländern genießen dürfen (Pinker 2018/Rosling 2019). Ohne den weltweiten Warenverkehr ist etwa das üppige Angebot verschiedenster Lebensmittel in unseren Supermärkten nicht denkbar.

Auf der anderen Seite machen wir unsere Lebenswelt jedoch zu einem prekären Ort. Wir graben tiefe Gruben, in