: Hedwig Richter, Bernd Ulrich
: Demokratie und Revolution Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462312683
: 1
: CHF 22.00
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Junge Menschen brechen auf der Straße das Recht und berufen sich dabei auf das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem die Lebenden nicht das Recht haben, die Freiheit künftiger Generationen zu halbieren. Die Bundesregierung hält sich nicht an das Pariser Abkommen und stößt zugleich an die Grenzen des Wachstums und der Schuldenbremse, weil die Kosten der Klimakrise und des Klimawandels zugleich aufgebracht werden müssen. Es ist ein Widerspruch entstanden zwischen Demokratie und Ökologie, zwischen dem unabwendbaren Zeitdruck und der anscheinend gottgegebenen Langsamkeit der Demokratie. Die Historikerin Hedwig Richter und der ZEIT-Journalist Bernd Ulrich wollen diesen Widerspruch überwinden und zeigen, wie eine notwendige Revolution zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen einhergehen kann mit der notwendigen Verteidigung und Entfaltung der Demokratie. Dazu schauen sie zurück und in die Zukunft. Sie fragen nach der dunklen Seite der Demokratiegeschichte, nach den oft zerstörerischen sozialen und fossilen Bedingungen, unter denen sich unsere Demokratie in Deutschland und anderswo entfaltet hat. Und sie entwerfen eine Zukunft, die auch den kommenden Generationen die Gestaltungsfreiheiten garantieren, die für eine Demokratie essenziell sind.

Hedwig Richter, geb. 1973, ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Zuletzt erschien von ihr »Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich« (Suhrkamp, 2021).

Einleitung


Verstehen ist Trost. Manchmal der einzige. Gerade in Zeiten wie diesen, da man des Trostes in besonderer Weise bedarf, nicht nur mit Blick auf Demokratie und Ökologie. Der Vormarsch der Rechtspopulisten, Massaker in Israel, die verschärfte ökologische Krise, derRollback bei der Klimapolitik, noch ein Krieg – beim Schreiben blieb oft unklar, ob die Ereignisse den Funken Hoffnung, den so ein Buch eben auch braucht, erlöschen lassen würden.

Zumal wir uns vorgenommen hatten, nicht fahrlässig zu hoffen, bloß weil ohne Hoffnung halt alles noch schlechter ist. Auch die Zeit des großen Appellierens scheint uns in der Klimapolitik vorbei zu sein. Es lassen sich damit offenbar zu wenig Kräfte für eine ökologische Wende wecken, wie die großen und dann die weniger großen Jahre des Klimaaktivismus gezeigt haben. Wer flehentlich an das Gute appelliert, landet oft genug im Zynismus. Oder in der Resignation. Die hängenden Schultern des Weiter-So.

Weder appellieren wir, noch sind wir resigniert. Stattdessen versuchen wir, das, was geschieht und unterbleibt, besser zu verstehen. Die Ausgangsfrage lautet für uns: Warum? Warum befreien sich die Menschen nicht aus der Selbstzerstörung? Warum bleibt die Wende aus?

Dabei haben die westlichen Gesellschaften etwas ungemein Wertvolles, etwas, das schon mit vielen Kriegen, aber auch mit bequem gewordenen Bevölkerungen und korrupten Politikerinnen und Politikern zurande gekommen ist, mit Armut und Entrechtung. Diese Kostbarkeit heißt: Demokratie. Sie hat eine schöne und, ja, erfolgreiche Geschichte. Sie hat Menschen befreit und selbstermächtigt. Noch nie ging es den Menschen aller Schichten ökonomisch so gut wie in den Demokratien, noch nie hatten Frauen so viele Rechte, noch nie wurden Kinder so sehr als autonome Wesen akzeptiert wie in Demokratien. Noch nie war so viel Respekt.

Diese Demokratie ist der entscheidende Weg aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit, davon sind wir überzeugt. Wir denken, dass diese Demokratie grundsätzlich in der Lage ist, ökologisch zu werden. Ihre Institutionen sind so stabil und vernünftig, dass Flexibilität und Kritik in sie eingeschrieben und Veränderungen sozusagen Demokratie-inhärent sind.

Aber warum findet die Demokratie den Weg aus der Selbstzerstörung bisher nicht?

Auf der Suche nach Antworten richtet sich unser Blick natürlich auf die Politik, auf die Wirtschaft und die fossile Infrastruktur. Doch konzentrieren wir uns anders, als in der herrschenden ökologischen Debatte üblich ist, wesentlich auch auf das Individuum, auf die Bürgerinnen und Bürger. Sie sind im Maschinenraum der ökologischen Transformation selbstverständlich nur eine unter vielen Maschinen, aber in einer Demokratie sind sie der Antrieb: Von ihnen geht die Energie, von ihnen geht die Macht aus. Oder eben nicht. Die Politik ist die von ihnen gewählte, und die politische Klasse handelt entsprechend dem Bild, das sie sich von der Bürgerin und vom Bürger gerade macht. Was für ein Menschen- und Geschichtsbild, was für eine Vorstellung von Politik, Staatsbürgerschaft und Bürgerlichkeit treibt die politische Klasse? Die Stimmen der Einzelnen bestimmen die Richtung der Politik, aber die Politik gestaltet den öffentlichen Raum und damit wiederum auch das politische Selbstbild dieser Einzelnen. »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte«, hatte Marx in einer Interpretation historischer Transformationen erklärt, allerdings gelte: »Sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«.[1]

Das wirft die Frage auf, ob die Verhältnisse den Menschen schaffen oder umgekehrt der Mensch die Verhältnisse produziert. Natürlich gilt beides. Warum hat sich dann ausgerechnet bei der Frage der Ökologie weitgehend die Ansich