1. KAPITEL
Schottland, 1541
E s war November und Herbststürme heulten über die Highlands. Sie hatten den ersten Schnee mitgebracht, Flocken wirbelten durch die Luft. Olaf Stenholm blinzelte und versuchte, im Schneegestöber die Augen offen zu halten. Das war gar nicht so einfach, denn es verfingen sich immer wieder eiskalte Flocken im Visier seines Helms. Der große kastanienbraune Hengst, auf dem er saß, wieherte erschöpft. Er nannte ihn Thor und das Pferd war eigentlich für das Schlachtfeld ausgebildet, doch jetzt hingen an seinen beiden Flanken große Säcke herab. Ihn als Packpferd für einen Reiter mitsamt dessen eiserner Rüstung sowie sämtlicher Habseligkeiten zu missbrauchen, glich einer Beleidigung für das edle Tier.
Ebenso stellte der lange Ritt nach Nordwesten eine Beleidigung für jeden Ritter dar. Olaf versuchte, die Finger in seinen Lederhandschuhen zu bewegen, damit seine Hände nicht taub vor Kälte wurden. Sein ganzes Leben kam ihm wie eine unendliche Kette von Erniedrigungen vor. Zuerst war er aus Stenholm Castle geworfen worden, weil er das Recht seines älteren Bruders auf das Erbe des Titels angezweifelt hatte. Dann, nachdem sein Bruder verstorben war, hatte er sein Anrecht auf den Besitz auch noch an dessen Witwe verloren. Schließlich hatte ihm König James eine Braut angeboten, die ihren eigenen Besitz mit in die Ehe brachte.
Eine Frau mit Landbesitz .
Olaf schnaubte verächtlich, das Geräusch klang hohl in seinem Helm. Es war schön und gut, dass Kilgarren sich von der Küste meilenweit ins Landesinnere erstreckte, aber dabei handelte es sich um nichts weiter als endloses Ödland. Und von der dazugehörigen Braut, Brenna Kilgarren, wurde gemunkelt, dass sie an die Ländereien gelangt war, indem sie ihren einzigen Bruder vergiftete. Den geflüsterten Anschuldigungen zufolge wollte sie ganz allein über diese gottverlassene Wildnis herrschen und hatte geschworen, jeden Mann umzubringen, der versuchte, sie unter seine Kontrolle zu bekommen. Doch König James war daran gelegen, die Küste gegen eventuelle Angriffe von der Seeseite zu sichern.
Eine solche Aufgabe hätte der König niemals einer Frau anvertraut.
In einiger Entfernung tauchte der schemenhafte Umriss eines zinnenbewehrten Turmes im Schneetreiben auf. Das einsame Gebäude war der einzige Orientierungspunkt in dieser endlosen Weite aus sanft gewellten Hügeln, die mit hartem Gras bewachsen waren. Olaf beeilte sich weiterzukommen und verdrängte alle weiteren Überlegungen. Das Einzige, was er jetzt wollte, waren ein prasselndes Feuer und ein Krug mit heißem Whisky.
Als er näherkam, sah er einige Erdhügel, die aussahen wie Unterstände, in denen Menschen und Vieh während der Wintermonate Schutz suchen konnten. Als er sich noch weiter näherte, hörte er auch noch Stoff im Wind flattern. Im Schutz der einfachen Burg waren zwei Zelte aufgestellt, deren Bahnen vom Wind bis zum Zerreißen gespannt wurden. Von ihren Spitzen wehten Banner in leuchtenden Farben und bildeten damit einen starken Kontrast zum bleigrauen Himmel.
Seine Konkurrenz .
Um Brenna Kilgarrens Widerstand zu brechen, hatte der König ihr gleich drei Heiratskandidaten geschickt, zwischen denen sie wählen sollte. Vor einem der Zelte standen zwei Krieger, die Wache hielten und sich dabei auf ihre Lanzen stützten. Keiner der beiden trug eine eiserne Rüstung, aber ihre Lederwämse waren neu, und die Pferde, die hinter ihnen auf der reifüberzogenen Wiese grasten, sahen stark und gesund aus.
Olaf seufzte bedauernd. Mit solchem Wohlstand konnte er nicht mithalten.
Ehe er sich auf den langen Weg gemacht hatte, hatte er jeglichen Besitz verkaufen müssen, den er sich in vielen Jahren als fahrender Ritter verdient hatte. Er hatte den Jungen entlassen, den er aus Livland, der baltischen Provinz, mitgebracht hatte, und ihm sein Fuhrwerk und das Zugpferd überlassen. Jetzt wünschte er si