Kapitel 1
Noelle
Es würde perfekt werden. Es musste perfekt werden; immerhin hatte ich den Abend bis ins kleinste Detail geplant. Mit eiskalten Fingern strich ich eine helle Haarsträhne hinter mein Ohr und ließ den Blick über das Foyer schweifen. Einmal im Jahr verwandelte sich dasGrand Dunhill Hotel in Manhattan in ein gleißendes Meer aus Lichtern, und jeden November raubte mir der Anblick erneut den Atem. Alles im Foyer war wie in flüssiges Gold getaucht; angefangen von den massiven Säulen aus cremefarbenem italienischem Marmor bis hin zu den spiegelglatten schwarz-weißen Fliesen, die den Schein der Flammen reflektierten.
Die Benefizgala stand für alles, was meine Familie ausmachte: Eleganz, Tradition und guter Geschmack. Schon als Mädchen hatte ich mich jedes Jahr wie eine kleine Prinzessin gefühlt, wenn mein Vater mich durch den Ballsaal geleitet hatte. Vielleicht hatte ich mir deshalb ausgerechnet diesen Tag ausgesucht, um den großen Schritt zu wagen. Immerhin brauchte eine Märchenprinzessin auch einen Prinzen an ihrer Seite.
Es war acht Monate her, seit ich Daniel bei unserer gemeinsamen Abschlussfeier in Yale zum ersten Mal nähergekommen war. Mit seinem englischen Akzent hatte er mir hoffnungslos den Kopf verdreht, so sehr, dass ich bereit war, für ihn ein Risiko einzugehen. Denn sexy Brite hin oder her, ich war eine Dunhill, und für Dunhills galten andere Regeln. Eine reiche Hotelerbin war immerhin ein gefundenes Fressen für die Medien, und solange ich denken konnte, tat mein Vater alles, um unsere Gesichter aus den Klatschspalten herauszuhalten. Der Preis dafür? Mein Leben fand hinter verschlossenen Türen statt. Keine Partys, keine öffentlichen Auftritte, keine Skandale – selbst in Yale hatte ich den Kontakt zu meinen Kommilitonen auf ein Minimum reduziert, auch wenn mir das den Ruf einer zurückgezogenen Einzelgängerin eingebracht hatte. Sogar vor meinem Liebesleben machten die Regeln meines Vaters nicht halt. In den letzten vierundzwanzig Jahren hatte ich vor anderen Leuten nicht einmal Händchen gehalten, geschweige denn, öffentlich einen Mann geküsst.
Bis jetzt.
Heute Abend war es so weit. Meine Eltern waren eingeweiht, und soweit man dies von meinem Vater behaupten konnte, schien sogar er mit der Sache einverstanden zu sein. Ich würde Daniel meiner Familie vorstellen, mit ihm die Tanzfläche eröffnen und dann für Fotos posieren, er in einem edlen grauen Anzug und ich in meinem taubenblauen Eli-Saab-Kleid, das meine Beine wie der Schleier der Eiskönigin umwehte. Wochenlang hatte ich mir diesen Moment immer wieder ausgemalt, und nun würde er endlich zur Realität werden.
Meine Schritte hallten über den Marmorboden des langen Ganges, und ich versuchte, meine aufsteigende Übelkeit zu ignorieren. Bis jetzt war alles nach Plan verlaufen. Tja, zumindest bis auf ein kleines, aber nicht ganz unwichtiges Detail: Von meinem anglosächsischen Märchenprinzen fehlte bislang jede Spur.
»O Dan …«, wisperte ich, zog das Smartphone aus meiner kristallbesetzten Clutch und drückte die Kurzwahltaste, die mit seiner Nummer belegt war.
»Daniel? Hier ist Elle, bitte entschuldige die Störung. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass ich im Foyer auf dich warte, ich glaube, die Veranstaltung startet bald. Bitte mach dir keinen Stress, aber denkst du, du könntest vielleicht …«
Das Piepsen der Sprachbox schnitt mir das Wort ab, und meine manikürten Finger verkrampften sich um mein Handy.
Noelle, du kannst andere Menschen nicht kontrollieren, egal, wie sehr du dir das wünschst. Alles, was in deiner Macht liegt, ist die Entscheidung, wie du auf unangenehme Situationen reagierst, erklang die Stimme meiner Therapeutin in meinem Kopf. Doch wie sollte ich auf Daniel reagieren, wenn er nicht hier war?
Verfluchter Mist.
Mein Vater legte allergrößten Wert auf Pünktlichkeit. Wenn mein Freund seinen Segen bekommen wollte, durfte er an unserem großen Tag auf keinen Fall zu spät kommen, das hatte ich ihm hundertmal gesagt. Mindestens. Ja, ich war ihm damit definitiv auf die Nerven gegangen, aber diese Details waren eben wichtig. Er musste doch …
»Noelle. Da bist du ja.« Der autoritäre Bariton meines Vaters riss mich aus meinen Gedanken.
Automatisch korrigierte ich meine Haltung, ließ das Handy in der Clutch verschwinden und drehte mich um. Robert Dunhill trug einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug und sah aus wie ein in Rente gegangener James Bond, der seine Zeit inzwischen hauptsächlich auf Golfplätzen verbrachte.
»Daddy.« Ich zwang mich zu einem angestrengten Lächeln.
Mein Vater musterte mich eingehend. Er hatte das unangene