ERZÄHLSTEIN
Erster Teil
Erzählstein[2] ist mein Letztname. Ich habe ihn selbst gewählt und angenommen, weil ich eine Geschichte zu erzählen habe, darüber, wohin ich gegangen bin, als ich jung war; aber jetzt gehe ich nirgendwohin, sondern sitze wie ein Stein auf einer Stelle an diesem Ort in diesem Tal. Ich bin dorthin gekommen, wohin ich ging.
Mein Haus ist das Blauton, mein Haushalt das Hochaltan in Sinshan.
Meine Mutter hieß Ammer, Weide und Asche. Der Name meines Vaters, Abhao, bedeutet im Tal »Töter«.
In Sinshan werden Kinder oft nach Vögeln benannt, da diese Boten sind. Im Monat, bevor meine Mutter mich gebar, kam jede Nacht eine Eule in die Gairga-Eichen vor den Fenstern auf der Nordseite von Haus Hochaltan und sang dort das Eulenlied; darum lautete mein Erstname Nordeule.
Hochaltan ist ein altes Anwesen, solide gebaut, mit großen Räumen; Skelett und Gebälk sind aus Mammutbaum, die Wände aus verputzten Lehmziegeln, die Fenster aus klarem Glas in kleinen quadratischen Scheiben, und der Fußboden ist aus Eichenholz. Die Balkone von Hochaltan sind breit und schön. Die Urgroßmutter meiner Großmutter war die Erste, die in unseren Räumlichkeiten im ersten Stock unter dem Dach wohnte; als die Familie größer wurde, belegte sie das ganze Stockwerk, aber meine Großmutter war die Einzige ihrer Generation, und so lebten wir nur in den beiden westlichen Zimmern. Wir hatten nicht viel zu geben. Wir konnten zehn wilde Olivenbäume und einige andere Bäume auf dem Sinshan-Kamm und ein Saatbeet auf der Ostseite von Wakyahum nutzen, und auf einer der Parzellen am Bach südöstlich des Lehmhügels bauten wir Kartoffeln, Mais und Gemüse an, aber wir nahmen uns viel mehr Mais und Bohnen aus den Vorratshäusern, als wir gaben. Meine Großmutter Unverzagt war Weberin. Als ich ein kleines Kind war, hatten wir keine Schafe in der Familie, und sie tauschte den größten Teil dessen, was sie webte, für neue Wolle ein. In meiner allerersten Erinnerung flogen die Finger meiner Großmutter auf dem Webstuhl hin und her, und jedes Mal blinkte ein silberner Halbreif an ihrem Handgelenk unter dem roten Ärmel auf.
Das Zweite, woran ich mich erinnere, ist, wie ich eines Wintermorgens im Nebel zur Quelle unseres Baches hinaufstieg. Es war das erste Mal, dass ich als Blautonkind Wasser für das Neumond-Wakwa schöpfte. Mir war so kalt, dass mir die Augen tränten. Die älteren Kinder lachten mich aus und sagten, ich hätte mit meinen Tränen das Wasser verdorben. Ich glaubte ihnen und fing an zu weinen, weil ich das Wasser verdorben hatte. Meine Großmutter leitete das Ritual und sagte mir, dass das Wasser in Ordnung sei, und ließ mich den Mondkrug bis in den Ort zurück tragen, aber ich heulte und schniefte die ganze Zeit, weil mir kalt war und ich mich schämte und der Krug mit dem Quellwasser kalt und schwer war. Ich kann diese Kälte und Nässe und das Gewicht noch jetzt in meinem Alter spüren und die toten Arme der schwarzen Manzanitas im Nebel sehen und die Stimmen lachen und reden hören, vor mir und hinter mir auf dem steilen Weg neben dem Bach.
Ich gehe dort, ich gehe dort,
ich gehe, wo ich ging,
weinend am Wasser.
Er geht dort, er geht dort,
der Nebel am Wasser.[3]
Ich habe nicht lange geweint, vielleicht nicht lange genug. Der Vater meiner Mutter sagte: »Wer erst weint,