: Michail Chodorkowski
: Was tun? Damit kein neuer Drache erwacht ...
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958905757
: 1
: CHF 17.70
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Spätestens seit Beginn des russischen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 ist klar: Eine friedliche Weltordnung mit Putin ist kaum denkbar. Doch wie kann ein totalitäres Regime beendet werden? Und wer käme dann an die Macht? Diese drängenden Fragen werden nicht nur von Politikern gestellt, sondern im Grunde von allen freiheitsliebenden Menschen in Russland und auf der ganzen Welt. In seinem neuen Buch nennt Michail Chodorkowski die Bedingungen, die für den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Status quo in Russland verantwortlich sind. Er möchte eine längst überfällige Diskussion anstoßen und bietet Lösungen für eine Umgestaltung des russischen Staates, die künftigen Machtmissbrauch verhindern könnten. Zurzeit ist der russische Präsident mit einer außerordentlichen Fülle an Befugnissen ausstattet. Das zentrale Argument des Buches lautet deshalb, die faktische russische Autokratie durch eine parlamentarische Republik mit einem sorgfältig austarierten System von Kontrollinstanzen zu ersetzen. Doch zunächst gilt es, den Drachen zu töten ...

Michail Chodorkowski ist wahrscheinlich der berühmteste lebende russische Dissident im Exil. Als erfolgreicher Geschäftsmann war er Chef von YUKOS, einem der größten Ölproduzenten der Welt. 2001 hatte er die Open Russia Foundation gegründet mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft in Russland aufzubauen und zu stärken. Nachdem er Anfang 2003 bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Präsident Putin die endemische Korruption kritisierte, wurde er noch im selben Jahr verhaftet und unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde von Amnesty International zum Gewissensgefangenen erklärt und schließlich im Dezember 2013 freigelassen. Als Anführer der russischen Opposition im Exil setzt sich Chodorkowski für eine alternative Vision Russlands ein. Der Oscar-prämierte Dokumentarfilmer Alex Gibney hat Michail Chodorkowskis Lebensgeschichte in seinem neuesten Film Citizen K aufgezeichnet, der derzeit auf Amazon Prime zu sehen ist. Weitere auf Deutsch erschienene Bücher des Autors sind: Briefe aus dem Gefängnis: Mit einem Essay von Erich Follath (2011), Mein Weg: Ein politisches Bekenntnis (2012) und Meine Mitgefangenen (2014). Olaf Kühl studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Er übersetzt literarische Werke aus dem Polnischen und dem Russischen. 2011 legte er seinen Debütroman Tote Tiere vor, in dem er eine Reise zum Straflager von Michail Chodorkowski in Ostsibirien belletristisch verarbeitet.

KAPITEL 1


Strategie des Sieges: Friedlicher Protest oder friedlicher Aufstand?


Welche Strategie sichert den Sieg im Kampf mit der Despotie? Den Menschen des 18., 19. und umso mehr des 20. Jahrhunderts fiel die Antwort auf diese Frage leicht: Die siegreiche Strategie ist die Revolution.

Was für eine Revolution? Die gewaltsame, natürlich. Marx bezeichnete die Revolution als Hebamme der Geschichte. Und einer der Gründungsväter der USA, Alexander Hamilton, formulierte es so: »Wenn das Volk seine Regierung satt hat, dann kann es entweder sein verfassungsmäßiges Recht in Anspruch nehmen, die Regierung abzuwählen, oder sein revolutionäres Recht, sie durch einen Aufstand zu stürzen.«

Das Aufstandsrecht des Volkes gegen die Usurpatoren der Macht ist in der Präambel der amerikanischen Verfassung festgelegt. Lenin und seine Mitstreiter hielten die Revolution für die Hauptquelle des Rechts und riefen dazu auf, die Feinde der Revolution im Sinne des revolutionären Rechtsbewusstseins zu verurteilen. Klar war, wer der Feind ist und was mit ihm zu tun sei.

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wurde alles komplizierter. Die Revolutionen, derentwegen in Europa die letzten 200 Jahre lang Ströme von Blut vergossen worden waren, kamen aus der Mode. Und der Zerfall der UdSSR und der mit ihr verbundenen Regime in Osteuropa weckte die Illusion, man könne die Tyrannen ohne Gewalt überwinden. Vielleicht nicht auf einen Schlag, aber letztlich war die Gewaltanwendung als unerwünschte und sogar unzulässige Erscheinung aus der Strategie des Kampfes mit der Despotie ausgeschlossen. Was ist von dieser Strategie übrig?

Geblieben ist von ihr der friedliche Protest als einzig akzeptable und universale Strategie für alle Zeiten und unter allen Umständen. Das Ziel ist nicht einfach die Revolution, sondern unbedingt die samtene Revolution, die Revolution in weißen Handschuhen. Von nun an durfte der Protest nicht mehr mit Gewalt einhergehen, selbst wenn es Gewalt gegen den Tyrannen und seine Schergen war, die das Land in Blut ertränkten.

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt funktionierte diese Strategie, »dem Bösen nicht mit Gewalt zu wehren«; jedenfalls sah es so aus. Die samtenen Revolutionen entwickelten sich zu Farbrevolutionen weiter, die man vielleicht besser als »Blumenrevolutionen« bezeichnen sollte (»Rosenrevolution«, »Nelkenrevolution« und so weiter). Die Farbrevolutio