Christine Lavants Eigenart und Stärke als Lyrikerin und als Erzählerin ist ihr unbestechlicher Blick auf diejenigen, mit denen das Schicksal es weniger gut gemeint hat. Es ist ihre eigene Welt und es sind ihre eigenen Erfahrungen und Empfindungen, über die sie schreibt. Sie weiß, wovon sie spricht. Sie wurde – als Lyrikerin – mit Preisen und Ehrungen überhäuft, erhielt schon früh eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung durch das Land Kärnten und den österreichischen Staat, wurde von Ministern und Präsidenten hofiert – und übernahm nicht die Vorstellungen und Sichtweisen ihrer bürgerlichen Freundinnen und Förderer, die ihre Nähe suchten. Christine Lavant ist und bleibt zeitlebens Teil dessen, worüber sie schreibt. Die Basis dafür ist die Erfahrung am eigenen Leib, und eine beinah schon gespenstisch zu nennende Fähigkeit des sich Einfühlens in andere. Ihr Blick auf die Menschen und die Welt ist immer auch ein Blick der Reflexion, des Wissens und der Distanz. Und er schließt Selbstironie und Humor mit ein. Dem entspricht die unerhört freie und bewegliche, ja virtuose Form ihres Schreibens; augenfällig im Wechsel der Perspektiven, in den Gedankenstimmen, den lakonischen Kommentaren und dem ironischen Dazwischenreden, im Ineinanderschieben von Außen- und Innensicht, der metaphorischen Umdeutung religiöser Symboliken u. v.a. m. Mit Christine Lavant beginnt die Literatur von Frauen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg – so wie auf je eigene Weise wenig später mit Friederike Mayröcker, Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann.
Christine Lavant war, nach dem Zeugnis derer, die sie kannten, eine äußerst belesene, kluge und schlagfertige, in Gesellschaft, je nach Situation und Laune, auch freche und vorwitzige Frau. Zuweilen wohl auch ein bisschen berechnend und ›durchtrieben‹, wie Thomas Bernhard, der mit ihr befreundet war, sie nennt (und der es wissen musste); und wie auch sie selbst sich bezeichnet – in einem Brief an ihren Innsbrucker Mentor Ludwig von Ficker. Bedenkt man ihre Lebensumstände, könnte man auch von Selbstschutz und sozialer Intelligenz sprechen. Und sie war mitfühlend, hilfsbereit, freigiebig und großherzig, war nicht ungern selbstironisch und hatte, wenn es ihr gut ging, eine ausgeprägte Neigung zum Schelmischen. Jahrzehntelang hat jedoch das erbarmungswürdige Bild des leidgeprüften, vom Stricken lebenden, in seinen Gedichten mit Gott hadernden, kopftuchtragenden Weibleins vom Lande die öffentliche Wahrnehmung bestimmt.
Die Wirklichkeit ist komplexer. Christine Lavant – geboren als Christine Thonhauser – ist eine gleichsam aus dem Nichts auftauchende literarische Naturbegabung aus der tiefsten, bäuerlich-katholischen und zu ihren Lebzeiten stark nationalsozialistisch kontaminierten Kärntner Provinz; neuntes Kind einer Bergarbeiterfamilie aus St. Stefan im Lavanttal, in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, Schulabbrecherin aus gesundheitlichen Gründen, chronisch krank, beschäftigungslose Außenseiterin im Dorf, suizidgefährdete Psychiatriepatientin, manische Leserin, Strickerin aus Not, die mit ihrer Hände Arbeit auch den 36 Jahre älteren Ehemann, einen nicht unbegabten, erfolglosen Maler, miternährte – und die, ohne formale Bildung und ohne die geringste Berührung mit dem Kulturbetrieb und mit gebildeten Kreisen, scheinbar voraussetzungslos, Gedichte schrieb, die von der Kritik in einem Atemzug mit jenen Rainer Maria Rilkes und Georg Trakls genannt wurden. Parallel dazu hat sie beinahe zweitausend Seiten erzählende Prosa geschrieben, die stets im Schatten ihrer Lyrik stand, und deren Qualität und Bedeutung jahrzehntelang nicht angemessen erkannt und gewürdigt wurden. Von beidem, von ihren Gedichten und von den Erzählungen, wurden zu ihren Lebzeiten jeweils nur etwa ein Drittel veröffentlicht. Erst die vierbändige Werkausgabe ließ – vierzig Jahre nach ihrem Tod – den Umfang ihres literarischen Werks erahnen.
1948 und 1949 erschienen ihre ersten Bücher, zwei Erzählungen und ein Gedichtband, in einem neugegründeten, wirtschaftlich schwachen Ein-Mann-Verlag in Stuttgart, dessen Verleger durch einen Zufall auf sie gestoßen war. Er erkannte spontan ihr großes Talent und hatte Großes mit ihr vor, scheiterte jedoch an den ökonomischen Gegebenheiten. Davor hatte sie (mit Ausnahme dreier Gedichte in einem Kärntner Provinzblatt Mitte der 1930er Jahre) keine Veröffentlichungen und auch so gut wie keine Verbindung zu literarischen Kreisen. Durch die politisch gewollt komplizierten deutsch-österreichischen Handels-, Zoll- und Verrechnungsbestimmungen der unmittelbaren Nachkriegszeit brauchte es beinahe zwei Jahre, bis ihre Bücher in Österreich wahrgenommen wurden. Als sie im November 1950 die erste Einladung zu einer literarischen Veranstaltung erhielt, wurde sie im Publikum von niemandem erkannt. Man hielt die Rezitatorin, die ihre Gedichte vortrug, für die Autorin. Sie selbst saß unerk