1. KAPITEL
»Allein hier?«
Ich bin versucht, mich überrascht umzublicken und ihr ins Gesicht zu sagen: »Also so was. Ha, scheint fast so«, allerdings bin ich gerade erst angekommen und will mich nicht schon in der ersten Sekunde zum Trottel machen.
Zumindest nicht, bevor ich ein paar Mimosas getrunken habe, auf die ich mein unhöfliches Verhalten schieben kann.
»Ja.« Ich lächle Lenas Mutter freundlich an. Bisher habe ich sie nur zweimal getroffen: einmal bei der Abschlussfeier der Uni und das zweite Mal vor ein paar Monaten, als ich Lena nach ihrer Herzoperation besuchte.
Ich schätze also, sie weiß über mich genauso Bescheid wie ich über sie: überwiegend aus zweiter Hand und weil wir ab und zu in Lenas sozialen Medien auftauchen. Ich frage mich, was genau sie über mich gehört hat, und beschließe, ihr die Frage, ob ich allein hier bin, zunächst einmal durchgehen zu lassen.
Doch nun schnalzt sie mit der Zunge und tätschelt mir mit einem Mitgefühl, um das sie niemand gebeten hat, den Arm.
»Helena erwähnte, dass du Probleme hast, jemanden kennenzulernen. Wie schade.«
Ein Muskel in meinem Gesicht zuckt, mein Lächeln wirkt angestrengt.
Ich habe Probleme, jemanden kennenzulernen? Hat meine Freundin das wirklich so gesagt, oder ist es etwas, das ihre Mutter aus dem Gespräch herausgehört hat? Nein, Lena wird sich bestimmt nicht so ausgedrückt haben, denn sie hört sich liebend gern Anekdoten über meine Dates an, die ich im Übrigen genauso gern erzähle.
»Im Gegensatz zu meiner Lena«, fährt Mrs. Shelton fort, mit diesem »Ich bin so eine stolze Mutter, aber wenn ich bescheiden genug lächle, können wir beide so tun, als würde ich nicht schrecklich angeben«-Lächeln.
»Meine Güte, sie hat so ein Glück mit Johnny, nicht wahr? Da lernen sich die beiden am ersten Tag an der Uni kennen, und jetzt sind sie verlobt! Einfach wunderbar, oder? Oh, ist das dein Geschenk?«
Ihr Blick fällt auf die Karte in meiner Hand, was mir kaum Zeit lässt, mich von meinem emotionalen Schleudertrauma zu erholen. Und weil Lenas Mutter so ist, wie sie ist, wirkt sie ein bisschen brüskiert darüber, dass ich nur eine Karte dabei habe und nicht etwa den Pizzaofen, der auf der Geschenkeliste stand.
(Jetzt mal ehrlich, eineGeschenkeliste für eine Verlobungsfeier! Macht man das heutzutage so? Ist das wirklich noch dieselbe Lena, die zu unseren einundzwanzigsten Geburtstagen zwei Esel adoptiert hat?)
Sie blinzelt, und dann, als sie mein Outfit sehr langsam und sehr kritisch unter die Lupe nimmt, wird ihr Gesichtsausdruck regelrecht verächtlich. Ich verlagere mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Obwohl ich den Raum noch nicht einmal richtig betreten habe, weiß ich bereits, dass ich falschliege: Mein schwingender grüner Midirock und das weiße T-Shirt sind viel zu leger verglichen mit den Cocktailkleidern und Anzügen der anderen; ich trage mein dunkles, schulterlanges Haar heute auch eher natürlich und frage mi