Uster, Freitag,14. September
»Nein, ich komme nicht mit. Ich muss arbeiten«, winkte Zita ab.
»Drei Wochen vor der Geburt? Spinnst du?«
»Geht euch gar nichts an!«
»Typisch Zita, arbeitet noch, wenn ihr die Gebärmutter bereits an der Kniekehle klebt.«
»Hausfrauenplage! Geht und ertränkt das Elend eures Abhängigkeitsdaseins in einer Latte caramelito.«
Zita sah grinsend zu, wie ihre schnatternden Kolleginnen vom GeburtsvorbereitungskursMamYoga, alle bereits im Mutterschaftsurlaub, ihre Bäuche durch die Eingangstür der neu eröffneten Starbucks-Filiale in Uster quetschten. Eine eiskalte Dusche – das war es, was sie brauchte. Sie schob ihr Velo in Richtung des in die Jahre gekommenen Jugendstilhauses, in dem Meier seine wunderschöne Wohnung hatte. Bis dort waren es höchstens zehn Minuten, das sollte sie schaffen. Auch wenn es der heißeste September war, den sie je erlebt hatte, was ihr Meier in seinerSMS vor ein paar Minuten – einer von vielen, die er jeden Tag sendete – bestätigt hatte.
Meier! Zita entwich ein ungläubiger Laut. Hätte ihr jemand vor zehn Monaten gesagt, dass sie den Spätsommer hochschwanger von einem mittelalterlichen Polizisten in Uster verbrächte, mit einem wöchentlichen Highlight, demMamYoga bei der Hebamme Paula Späni, hätte sie diesem Idioten den Vogel gezeigt. Nicht einmal lachen hätte sie mögen über diese Vorstellung. Doch nun war es genau so.
Wie jedes Mal, wenn sie solche Gedanken hegte, bekam Zita Panik. Umdrehen, zum Bahnhof rennen, ein Ticket lösen und weit weg. Oder noch besser: Den Bauch abschnallen und im Mülleimer entsorgen. Da spürte Zita ein Rumpeln in ihrer Mitte. So musste sich der Wolf gefühlt haben, nachdem man ihm Steine in den Bauch genäht hatte. Nur dass Zitas Stein angenehm weiche Drehungen machte und ihren Eingeweiden eine Massage zukommen ließ, die sie jedes Mal aufs Neue entzückte. Sie horchte in sich hinein. Die Bewegung war ein Protest, dessen war sie sich sicher.Bist du bescheuert, Mama? Du kannst mich nicht einfach abschnallen. – Tut mir leid, nie würde ich so etwas tun, mein Kind. Ich liebe dich doch schon jetzt über alles.
Die Bewegung hörte auf. Zita staunte über die seltsamen Gespräche, die sie mit ihrem ungeborenen Kind führte. Sie hatte niemandem davon erzählt, nicht mal Meier. Denn diese leuchtenden Momente der Verständigung gehörten ihr allein. Hatte sie zumindest geglaubt. Bis heute imMamYoga, als Baby Meier sie tief aus ihrem Innern heraus bat, die kitzelnde Atemübung zu wiederholen, und Paula Späni ihr zuzwinkerte. Die Kursleiterin wusste also genau, was in ihr vorging. Aber sie sprach nicht darüber. Sie war die Diskretion in Person. Nicht wie Meier, der alles wissen wollte über die motorischen Fähigkeiten seines Sprösslings, über seine intellektuellen Höhenflüge und vor allem über sein außerordentliches Gefühl für Rhythmus.
Zita stöhnte und schob ihr Rad ein bisschen schneller. Der Commissario und sie! Wenn sie nur nicht so verschieden gewesen wären: Meier liebte Kaffee, Zita trank nur Tee. Meier hängte seine Jeans an Bügel, Zita warf ihre Kleider auf den Boden, Meier hörte klassische Musik im Liegen, Zita bevorzugte Hip-Hop in Aktion, Meier verfiel nach dem Sex in Tiefschlaf, Zita wurde hyperaktiv,