Vor 1900 hat es kein Jahrhundert in der Menschheitsgeschichte gegeben, das es in Sachen Rasanz und Ausmaß eines immer heftigeren Wandels mit dem 20. Jahrhundert hätte aufnehmen können. Die revolutionären Entdeckungen, Erfindungen, politischen Neuordnungen und wissenschaftlichen Durchbrüche, die im 20. Jahrhundert erfolgt sind, brachten radikale Veränderungen in fast jedem Bereich des menschlichen Lebens. Das Jahr 1900 sah noch ganz anders aus als das Jahr 2000. Zu Beginn des Jahrhunderts gab es noch keine Antibiotika, nur wenige Häuser hatten elektrischen Strom; es gab keine Flugzeuge und kaum Autos. Die globale Lebenserwartung lag bei etwa 31 Jahren und die weltweite Alphabetisierungsrate bei unter 30 Prozent. Im Gegensatz dazu betrug die globale Lebenserwartung im Jahr 2000 schon 66,4 Jahre – in einigen Ländern sogar über 80 Jahre – und die Alphabetisierungsrate war auf 81,9 Prozent gestiegen. Zwar werden in jeder Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts die vielfältigen Triumphe von Technologie und Raumfahrt oder die Wunder des medizinischen Fortschritts hervorgehoben; aber letztlich ist jede solche historische Darstellung doch vor allem die Geschichte von Männern und Frauen, als Individuen wie als Massenwesen, die schöpferisch kreativ sind und etwas aufbauen, arbeiten und spielen; planen und zerstören, und die ihre Identitäten aufgrund ihrer Lebenserfahrungen entwerfen und immer wieder neu gestalten. Jedes Individuum hat seine oder ihre eigene Identität gewählt und verkörpert, hat aber im Gegenzug auch eine Identität von anderen zugewiesen bekommen.
Tatsächlich besitzt ein Individuum viele verschiedene Identitäten: eine biologische, eine räumliche, eine soziale und gesellschaftliche, eine politische, eine ökonomische, eine relationale, eine berufliche, eine habituelle und noch andere mehr. Der Identität kann man sich mit der Frage nähern: Was macht eine Person wesentlich aus, was definiert sie? Das bedeutet: Welche Werte, Überzeugungen, sozialen Beziehungen und kulturellen Streitfragen sind dieser Person am wichtigsten? Im Verlauf eines Lebens kommt es durchaus vor, dass Identitäten nicht gleich bleiben; vielmehr können sie sich verschieben und verändern, in Abhängigkeit von neuen Erfahrungen, Interessen oder Schwerpunktsetzungen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, welche Identitäten einer Person von anderen zugeschrieben wurden und wie ähnlich oder unähnlich diese Zuschreibungen einander sind. Dieses Buch widmet sich Fragen der Identität unter besonderer Berücksichtigung dreier persönlich-politischer Identitäten, die in der sich wandelnden Welt des 20. Jahrhunderts besondere Bedeutung hatten: individuelle und lokale Identität, nationalstaatliche Identität sowie die Identität globaler Gemeinschaften. Die große Bandbreite an Identitäten, die i