Kapitel 1
Februar 1880, Sallèles-d’Aude am Canal du Midi, Südfrankreich
Markttage waren die schönsten Tage der Woche!, dachte Fabienne nicht zum ersten Mal, während sie und ihre Mutter Violaine von Stand zu Stand gingen, um einzukaufen.
An Markttagen sah man in Sallèles-d’Aude, dem kleinen südfranzösischen Ort am Canal du Midi, nur gut gelaunte Menschen. Wer morgens griesgrämig aus dem Haus ging, dem zauberten die Markthändler mit ihren frechen Sprüchen schnell ein Lächeln auf die Lippen. Und wer für die Scherze der Markthändler nichts übrighatte, wurde vielleicht vom Anblick der Berge vonSaucissons aufgeheitert, jener schmackhaften Würste, die es am Stand von Monsieur Garonne gab und deren rauchiger Geruch einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Vielleicht waren es auch die getrockneten Veilchenblüten, mit denen Estelle Vialle ihre runden Ziegenkäse liebevoll dekorierte, die den einen oder anderen Marktbesucher selig lächeln ließen.
Lag es wohl am honigsatten Mimosenduft, der aus den umliegenden Gärten zum Markt wehte, dass die Leute an diesem Februarmorgen so glücklich wirkten?, fragte sich Fabienne, während ihre Mutter sich vom Käsehändler ein Bröckchen Blauschimmelkäse zum Verkosten reichen ließ. Blühten die Mimosen, war das Frühjahr mit seinen warmen Temperaturen nicht mehr weit, das wusste jeder im Süden! Entsprechend groß war die Freude, wenn die ersten Bäume und Sträucher zu blühen begannen. In der Provence, woher ihre Mutter stammte, wurde sogar ein Fest zu Ehren der sonnengelben Blüten gefeiert. Violaine Durant sprach nur selten über ihr Heimatdorf, aber zur Mimosenzeit war ihr Blick stets ein wenig wehmütiger als sonst in die Ferne gerichtet, gerade so, als habe sie Heimweh. Und auf dem Tisch im Schleusenwärterhaus stand Tag für Tag ein frischer Strauß blühender sattgelber Mimosenzweige, deren Duft für Fabies Empfinden fast schon zu aufdringlich war.
Auch Fabienne hätte an diesem Morgen die ganze Welt umarmen können – was allerdings weder am kulinarischen Marktangebot lag noch an der blütenschweren Luft, sondern einzig an der Tatsache, dass sie heute Abend Eric wiedersehen würde. Eric Lacasse mit seinen dunkelbraunen Augen, die glänzten wie ein frisch aufgeschnittener Trüffel. Eric, der sagte, dass er sie liebte. Wenn er sie anschaute, wurde ihr immer ganz anders zumute und …
»Kommst du? Wir brauchen noch Salat und Eier.« Mit einem kleinen Stups riss ihre Mutter sie aus ihren Träumen.
Den Einkaufskorb über den Arm gehängt, folgte Fabie ihrer Mutter durch das dichter werdende Gedränge auf dem Markt. WennMaman Salat und Eier einkaufte, bereitete sie heute bestimmt Mimosen-Eier zu, dachte sie. Das Gericht gehörte zu ihren persönlichen Lieblingen – bei den Kanalschiffern hingegen war es nicht ganz so beliebt, die Männer bevorzugten eher handfeste Eintöpfe oder Ragouts. Dennoch würden die Tische auf ihrer Terrasse heute wieder bis zum letzten Platz besetzt sein, denn so gut wie bei Violaine aß man entlang des Kanals nur selten.
Fabiennes Elternhaus – das Schleusenwärterhaus – lag ein Stück außerhalb von Sallèles d’Aude inmitten von unendlich wirkenden Rebenfeldern direkt am Canal du Midi, dem 1681 erbauten, 240 Kilometer langen Wasserweg, der Toulouse mit dem Mittelmeer verband. Fabiennes Vater Guy Durant war der Schleusenwärter, und seine Schleuse war auf der langen Route des Kanals eine ganz besondere Station, und das aus gleich mehreren Gründen: Bevor die Schiffe Guys Schleuse passierten, mussten sie nämlich zuvor ein Stück auf dem Fluss Aude fahren, der dem Ort seinen Namen verliehen hatte. Zu Trockenzeiten war die Aude so harmlos wie der Kanal selbst, aber wehe, es regnete mal ein paar Tage lang! Dann wurde aus dem kleinen Flüsschen ein reißender Strom, und das B