1. KAPITEL
„Ich muss mit dir reden.“
Mit einem unguten Gefühl drehte sich Amelia zu ihrer Schwester um. Sie hatte den Streit gehört, die schroffen, kalten Worte ihres Schwagers, das Knallen der Türen und dann Lauras Schritte auf der Treppe. Sie wusste, was kommen würde.
Nur leider wusste sie nicht, wie sie damit umgehen sollte.
„Es funktioniert so nicht“, sagte sie ruhig.
„Nein.“ Laura wirkte hilflos und verunsichert, aber gleichzeitig schien sie erleichtert, dass Amelia es ihr so einfach machte. Wieder einmal. „Es liegt nicht an mir … sondern an Andy. Vielleicht doch auch an mir. Es sind die Kinder. Sie … rennen ständig herum, das Baby schreit die ganze Nacht, und Andy ist müde. Er wollte sich über Weihnachten ausruhen und jetzt … Es ist nicht ihre Schuld, Millie, aber wir sind Kinder einfach nicht gewöhnt. Und dann noch der Hund … Es tut mir leid, aber …könntest du nach Weihnachten so schnell wie möglich eine andere Unterkunft für euch finden?“
Amelia legte die Wäsche beiseite, die sie gerade sortierte, und stand auf. Sie würde nirgendwo bleiben, wo sie – nein, ihre Kinder – nicht erwünscht waren! „Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist eine schreckliche Zumutung für euch. Mach dir keine Sorgen, wir verschwinden sofort. Ich packe nur unsere Sachen zusammen, dann sind wir weg.“
„Ich dachte, du wüsstest nicht, wohin?“
Das wusste sie auch nicht. Außerdem fehlte ihr das Geld, um eine Unterkunft zu bezahlen, aber das war ja nicht die Schuld ihrer Schwester. „Mach dir keine Sorgen“, wiederholte sie. „Wir fahren zu Kate.“
Allerdings wohnte ihre Freundin in einem winzigen Cottage, das kaum genug Platz für sie und ihre eigene Tochter bot. Auf keinen Fall konnten sie dort zu viertmit Hund unterkommen. Aber das wusste Laura nicht, die erleichtert aufatmete.
„Ich helfe dir beim Packen“, bot sie hastig an und verließ das Zimmer – wahrscheinlich um das Haus nach Spuren vom Aufenthalt ihrer ungebetenen Gäste abzusuchen. Müde lehnte sich Amelia an die Wand und kniff verzweifelt die Augen zusammen, um ihre Tränen zurückzuhalten. Zwei Tage vor Weihnachten.
Kurze, dunkle, chaotische Tage, in denen sie kaum eine Unterkunft finden würde, ganz zu schweigen von einer Arbeit, um dafür zu bezahlen. Und um alles noch schlimmer zu machen, gab es gerade einen für die Jahreszeit ungewöhnlichen Kälteeinbruch. So könnten sie im Notfall nur im Auto schlafen, wenn sie den Motor laufen ließ, aber dafür reichte das Benzin nicht. Wenn sie Glück hatte, war gerade noch so viel im Tank, dass sie wenigstens hocherhobenen Hauptes von hier wegfahren konnte.
Ihr Stolz war das Einzige, was ihr noch blieb, darum war das wichtig für sie.
Sie holte tief Luft, hob die Babysachen auf und begann planlos einzupacken. Dann hielt sie inne. Sie musste Prioritäten setzen: Die Sachen, die sie in den nächsten 24 Stunden brauchten, in eine Tasche, den Rest in eine andere, die sie später sortieren konnte, wenn sie ankamen, wo auch immer sie hinfuhren. Schnell packte sie die Babysachen und ihre eigenen, bevor sie das Zimmer betrat, das sich Kitty und Edward teilten, um deren Kleidung und Spielzeug einzupacken. Resolut verdrängte sie jeden weiteren Gedanken an ihre Situation.
Darüber konnte sie später nachdenken. Jetzt musste sie erst einmal die Kinder und ihre Sachen einsammeln und hier wegkommen, bevor sie zusammenbrach. Mit ihren Taschen ging sie nach unten und stellte sie in der Eingangshalle ab, bevor sie das sogenannte Familienwohnzimmer betrat. Dort lagen ihre Kinder bäuchlings auf dem Boden und sahen fern.
Zum Glück saß der Hund diesmal nicht auf dem Sofa, sondern zwischen den beiden.
„Kitty? Edward? Kommt her und helft mir dabei, eure Sachen einzupacken. Wir fahren jetzt Kate und Megan besuchen.“
„Jetzt?“ Edward drehte sich zu ihr um und sah sie skeptisch an. „Es ist doch fast Mittagszeit.“
„Fahren wir zum Mittagessen zu Kate?“, fragte Kitty begeistert.
„Ja, das wird eine Überraschung.“ Zumindest für Kate, dachte Amelia, während sie die Kinder durch das Haus scheuchte, um die letzten Spuren ihres kurzen, aber ereignisreichen Besuchs zu beseitigen.
„Warum nehmen wir alle unsere Sachen mit, wenn wir nur zum Mittagessen zu Kate und Megan fahren?“, fragte Kitty, aber Edward lenkte sie schnell ab. Zum Glück. Er war erst acht Jahre alt, aber ohne ihn wäre sie verloren.
In der Küche begegneten sie Laura, die Amelia verlegen einen Beutel reichte.
„Ich habe die Flaschen für das Baby gefunden“, sagte sie. „Es war auch eine im Geschirrspüler.“
„Danke. Ich muss nur noch den Kleinen holen und sein Bett zusammenklappen, dann bist du uns los.“
Schnell ging sie nach oben. Armer Thomas. Wimmernd kuschelte er sich an sie, als sie ihn hochnahm. Mit einer Hand klappte sie sein Reisebett zusammen und trug es nach unten. Ihre Sachen standen an der Tür. Würde Andy aus seinem Arbeitszimmer kommen und ihnen helfen, alles ins Auto zu packen? Nein, die Tür blieb fest verschlossen.
Auch gut. So musste sie wenigstens nicht höflich sein.
Sie setzte das Baby in seine Babyschale. Die kalte Luft gefiel ihm gar nicht, und Thomas protestierte lautstark. Dann belud sie den Kofferraum und schnallte Kitty und Edward an, bevor sie