Brauchen Adoptiveltern Ratschläge, die sich von denen für Eltern nichtadoptierter Kinder unterscheiden? Und geht es dabei wirklich um ihr »Überleben«, wie der leicht dramatisierende Titel dieses Buches unterstellt? Wir meinen, dass beide Fragen mit »Ja« zu beantworten sind. Denn es gibt Adoptivfamilien, in denen Eltern wie Kinder an existenzielle Grenzen kommen und in denen zumindest das psychische Überleben der Beteiligten gefährdet erscheint.
Dass dies nur in einer Minderheit der Fälle zutrifft, muss zu Beginn betont werden. Denn die meisten Adoptionsgeschichten unterscheiden sich nicht oder nur wenig von den Geschichten biologischer Familien. Dieses Buch ist aber, um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden, für diejenigen Adoptiveltern gedacht, die sich mit unerwarteten Problemen konfrontiert sehen – wenn sie sich im Umgang mit ihrem Kind als Akteure in einem Drama finden, das sie sich nicht hätten träumen lassen und auf das sie keiner vorbereitet hat.
Adoptiveltern, die den Eindruck haben, die Konflikte und Probleme, die sie mit ihren Kindern gelegentlich haben, seien nicht anders als in anderen Familien – denn Konflikte sind ja in keiner Familie vermeidbar (Trotzphase, Pubertät etc.) –, die brauchen hier gar nicht weiter zu lesen. Sie werden wahrscheinlich nicht ansatzweise nachvollziehen können, um welche Schwierigkeiten es in diesem Buch gehen soll.
Ganz allgemein geht ja die Frage, ob man seine Kinder »richtig« oder »falsch« erzieht, immer an den Kern der elterlichen Identität. Deswegen sind Erziehungsfragen sehr intim und emotional hoch brisant. Wenn mit den Kindern alles gut geht, dann schreiben sich die Eltern die Verantwortung zu. Sie meinen (wie die Leute in ihrem Umfeld auch), sie hätten ihren Job hinreichend gut erledigt. Und das stimmt wahrscheinlich auch. Damit Kinder gedeihen, müssen die Eltern nicht Kinderpsychologie studiert haben, es reichen in der Regel »hinreichend gute Eltern« – so zeigt die Forschung.
Wenn es aber Probleme mit den Kindern gibt – wenn es zu großen Konflikten oder zu auffälligen Verhaltensweisen des Kindes kommt –, dann sehen sich die Eltern infrage gestellt – nicht nur von anderen (das auch), sondern vor allem von sich selbst. Denn der Schluss liegt ja nahe, dass die Eltern vieles (oder gar alles) falsch gemacht haben, wenn die Kinder »aus der Spur« geraten. Da Eltern schon seit Urzeiten ihre Kinder großziehen, sollte es doch eigentlich – so die öffentliche Meinung – kein so großes Problem sein, sie in Anstand und Würde großzuziehen. Wenn also »die Karre in den Dreck gefahren wird«, dann richtet sich der Blick bei der Suche nach den Schuldigen auf die Eltern, schließlich sollten sie ja am Steuer zu sitzen. Sie scheinen intellektuell oder emotional ihrer Aufgabe nicht gewachsen zu sein (zu »dumm«, zu »nachlässig« oder zu »uneinfühlsam« usw., um zu wissen oder zu spüren, was Kinder brauchen).
Wenn so geurteilt wird, dann liegt dahinter eine Vorstellung der Eltern-Kind-Beziehung, in derrichtig undfalsch die Endpunkte eines Spektrums von Verhaltensmöglichkeiten sind. Am einen Ende ist dastotal falsche Verhalten von Eltern einzuordnen, am anderen Ende dasvollkommen richtige. Die meisten Durchschnittseltern sind in diesem Modell mit ihrem Verhalten irgendwo in der Mitte zu positionieren, d. h., sie machen weder alles richtig noch alles f