1. KAPITEL
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages tauchten den Himmel in Purpur und lockten Lindy Lewis Monroe aus der Scheune. Hoffnung erfüllte sie.
Ein schöner Tag für eine Beerdigung, nicht wahr, Pops?
Vor der Beisetzung am Nachmittag gab es noch viel für sie zu tun. Dennoch ließ sie sich Zeit, den Sonnenaufgang zu bewundern und an den Menschen zu denken, der immer für sie da gewesen war.
„Goodbye, Pops. Ich liebe dich.“ Ihre Stimme klang rau von den Tränen, die sie während der letzten Tage geweint hatte.
Eine frische Morgenbrise wehte über den Hof. Lindy zitterte und spürte, wie ihr unter den feucht-klammen Kleidern langsam eine Gänsehaut über die Arme kroch.
Steh nicht herum wie ein Holzklotz, Lindy-Mädchen.
Pops’ Ermahnung war ihr noch vollkommen gegenwärtig. Sie eilte zum Haus. Mitte April lagen die nächtlichen Temperaturen noch nahe dem Nullpunkt. Sie fror in ihren Jeans, die sich mit jedem Schritt kälter und steifer anfühlten.
Die Fliegentür quietschte, als sie die Garderobe betrat, die zugleich als Waschraum diente. Rasch zog sie die schmutzigen Stiefel und Jeans aus. Auch Pops’ altes rot-schwarz gemustertes Arbeitshemd legte sie hier ab. Ein Hauch von seinem Old-Spice-Aftershave hing noch darin, und der Gedanke, den vertrauten Geruch einfach auszuwaschen, machte sie traurig.
Lindy wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und ließ das Hemd auf den Boden fallen. Zitternd spürte sie die kühle Luft auf ihren nackten Armen. In dem T-Shirt, das sie auf der nackten Haut trug, war ihr erst recht kalt.
In der Küche blieb sie einen Moment stehen. Hier war es warm, und sie genoss das Gefühl der Wärme und Geborgenheit. So ging es ihr jedes Mal, wenn sie dieses Haus betrat, denn hier war sie aufgewachsen. Seitdem träumte sie von einem solchen Heim mit einer eigenen Familie.
Nicht alle Träume werden wahr. Sie hatte ihren Teil von „auf immer und ewig“ gehabt, und sie hatte alles verloren: den Ehemann, das Baby, ihr Herz. In Zukunft würde sie ihre Träume mit niemandem mehr teilen.
Lass die Vergangenheit ruhen. Konzentrier dich auf das Heute.
Der Duft ihres Lieblingskaffees begrüßte sie.
Hab ich mir doch gedacht, dass Alice heute Morgen hier war, dachte sie dankbar.
Mit Alice Robertson, Nachbarin und Haushälterin der Familie Lewis, war sie seit vielen Jahren befreundet. Heute war Lindy besonders froh, dass die gute Seele bei ihr war. Der Kaffee stand auf dem Küchentresen bereit.
Wie lieb von ihr. Zum ersten Mal, seit Lindy das Krankenhaus vor drei Tagen verlassen hatte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie wunderte sich nur, warum Alice nicht zum Kaffee geblieben war. Als sie sich umdrehte, erstarrte sie. Auf einmal stand sie der Vergangenheit gegenüber, die sie gerade vergessen wollte.
Travis Monroe.
Ihr stockte der Atem. Sie schloss die Augen, wartete einen Moment und öffnete sie langsam wieder. Er war noch da.
Der Mann, den sie beinahe ein Jahr nicht gesehen hatte, lehnte im Türrahmen, einen dampfenden Kaffeebecher in der Hand. Sein schwarzes Haar war zerzaust, ein Dreitagebart ließ das markante Kinn dunkel erscheinen, und der elegante Anzug war zerdrückt. Travis sah abgespannt aus, aber dennoch – einfach umwerfend.
Seine grün-gold schimmernden Augen waren auf ihr dünnes Shirt gerichtet. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass es über ihren Brüsten spannte.
Wahnsinn. Travis taucht hier aus heiterem Himmel auf, und ich spaziere in meiner Unterwäsche in der Küche herum, dachte sie verärgert.
Trotzig weigerte sie sich zu bedecken, was Travis ohnehin kannte. „Was tust du denn hier?“
Der betont kühle Klang ihrer Stimme