1. KAPITEL
„Stellvertretende Schulleiterin Graham«, knackte und rauschte die Fernsprechanlage. „Bitte zum Kunstraum. Ihre Hilfe wird dringend benötigt.«
Paige Graham blickte von den beiden zehnjährigen Kampfhähnen auf, die sie während des zweiten Aufrufs über die Außen-Fernsprechanlage ihrer Schule voneinander getrennt hatte.
Na toll! Und was jetzt?
„Diesmal bleibt es bei einer Verwarnung, aber wenn ihr so weitermacht, werden wir mit euren Eltern reden müssen«, sagte sie streng zu den Jungs.
„Ja, Miss Graham«, antworteten die beiden unisono, funkelten einander jedoch immer noch wütend an.
Paige fuhr sich erschöpft durch das windzerzauste Haar und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Erst neun. Das konnte ja heiter werden! Der erste Schultag nach den großen Ferien war zwar ohnehin schon immer die Hölle – kein Wunder bei einem Haufen ausgeruhter und energiegeladener Kinder, die es kaum erwarten konnten, ihre Freunde wiederzusehen –, aber dieser Tag versprach besonders stressig zu werden. Sie sehnte sich schon jetzt nach dem erlösenden letzten Klingeln.
Paige ließ die beiden Jungs los und überquerte die Straße. Mit einem Blick überzeugte sie sich, dass sie ihren Kampf nicht wiederaufnahmen, bevor sie durch die gläserne Doppeltür derPeach Leaf Elementary School trat und direkt zum Kunstraum ging.
Warum konnte dort eigentlich nicht einer der Lehrer oder eine der extra für Engpässe angestellten Aushilfen nach dem Rechten sehen? Na ja, vermutlich wurden sämtliche Lehrkräfte in den neuen Klassen benötigt und hatten keine Zeit, sich um etwas anderes zu kümmern.
Dummerweise platzte ihr Terminkalender schon jetzt aus allen Nähten. In einer knappen Stunde hatte sie einen Termin mit Mrs Matthews, ihrer Schulleiterin, und davor musste sie noch die Förderunterrichtspläne durchsehen und unterschreiben. Und für den Nachmittag waren zwei Konferenzen zur Individualförderung angesetzt. Da blieb einfach keine Zeit für Vertretungsunterricht.
Sie bereute, am ersten Tag ihre neuen hochhackigen Sandalen angezogen zu haben. Wozu mit der Mode gehen? Mit ihren vernünftigen Ballerinas mit Fußbett wäre sie viel besser dran.
Sie holte tief Luft und öffnete die Tür des Kunstraums.
Einige Schüler jagten einander durch den Raum, und andere hatten die Schränke geöffnet und Stifte und Papier herausgeholt, doch bisher schien niemand verletzt zu sein oder seinen Sitznachbarn angemalt zu haben.
Trotzdem fühlte Paige sich leicht überfordert. Sie hatte längere Zeit als Lehrerin gearbeitet, bevor sie die begehrte Stelle als stellvertretende Schulleiterin an derPeach Leaf Elementary School bekommen hatte, aber seitdem waren einige Jahre vergangen, und sie wollte an ihrem ersten Tag nur ungern unvorbereitet vor eine Klasse treten.
Wo steckte der neue Kunstlehrer nur?
Paige versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern, Sowieso Camden. Nein, Campbell. Das war’s, Liam Campbell! Mrs Matthews hatte ihn in letzter Sekunde von einer Schule in Abi