Kapitel 1
Lob der Apokalyptik
Sie ist ein Augenöffner. Sie enthüllt, was passiert, wenn es einfach immer so weitergeht. Von der Falschheit des Begriffs Zeitenwende und von der Rückkehr der Politik ins Militärische
Es hat etwas Schreckliches auf sich mit dem Frieden. Er entfaltet seine Magie vor allem im Krieg; im Frieden verliert er sie wieder. So wird dann der gewonnene Frieden zu seinem eigenen Feind. Das ist seine Schwäche. Auch die Bilder vom Frieden leiden an dieser Schwäche. Ästhetisch ist der Friede nicht besonders attraktiv. Die Darstellungen des Friedens sind öde, fade und farblos. Sie gewinnen ihre Attraktivität im Kontrast nur zu den furiosen Schreckensbildern von Krieg und Katastrophe. Und das Reden vom Frieden ist so oft blutleer; es ist ein ritualisiertes Reden.
Bert Brecht hat versucht, dagegen zu schreiben. Sein Schreiben hatte Kraft, aber wenig Wirkung. Die Remilitarisierung schon wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er nicht aufhalten. »Das große Karthago«, so schrieb er 1951, »führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.« Das klingt agitatorisch, ist aber die Wahrheit. Und im Ernst der Lage ist Agitation besser als Apathie. Europa erginge es in einem dritten Weltkrieg so wie Karthago, schlimmer noch. Die apokalyptischen Reiter sind nämlich heute atomar bewaffnet.
28,4 x 39,6 Zentimeter. Mehr brauchte Albrecht Dürer nicht, um die apokalyptischen Reiter loszulassen; mehr brauchte er nicht, um Krieg und Mord, um Seuchen und Hunger, um Teuerung und Tod darzustellen. Auf so kleiner Fläche inszeniert er im Jahr 1498, auf einem Holzschnitt, den großen Weltuntergang. Es ist eine Zeit der großen Aufbrüche und Umbrüche; 1492 hat Christoph Kolumbus Amerika entdeckt. 1494 ist in Nürnberg die Pest ausgebrochen. Für das Jahr 1500 ist das Weltende angekündigt. Entdeckungsfieber und Endzeitstimmung liegen in der Luft. Kräfte ballen sich zusammen, die sich wenig später im Gewitter der Reformation entladen. Dürer offenbart seinem Publikum eindringlich die tödliche Wirklichkeit, die destruktive Kraft, den gewalttätigen Charakter dieser Transformation. Sie ist bei ihm nichts, das man unter Kontrolle hat, nichts, das man beherrscht und gestaltet. Sie ist ein Sturm, der Verwüstungen anrichtet und gewaltsam über die Menschen walzt. Wer in Dürers düsterem Kunstwerk den Geist eines dunklen Mittelalters mit seinen Höllenängsten und religiösen Verblendungen am Werk sieht, irrt. Dürer ist ein großer Desillusionierer, Realist und Aufklärer, der seinen Zeitgenossen die Augen für den Ernst der Lage öffnet.
Seine vier apokalyptischen Reiter sind endzeitliche Gestalten aus dem letzten Buch der Bibel, also der Offenbarung des Johannes. Diese Schrift wird Apokalypse genannt; sie ist eine Widerstandsschrift, entstanden am Ende des ersten oder Beginn des zweiten Jahrhunderts in einer Welt entfesselter Gewalt, rätselhaft und nur mühevoll zu entschlüsseln. Es ist eine Trost- und Widerstandsschrift in der Zeit der Christenverfolgung im Römischen Reich. Es handelt sich um eine monumentale Endzeitvision, die in Extremen schwelgt, zwischen kriegerischen Visionen vom Weltuntergang und zartesten Bildern von einem neuen Hi