Kapitel 2
Gut kopiert ist halb gewonnen
Das Licht weniger Straßenlaternen erhellte den Dorfplatz. Er war kreisrund und lag ziemlich genau im Zentrum von Sonntal. Nahezu alle wichtigen Gebäude und Einrichtungen des Ortes grenzten unmittelbar an ihn – vom Rathaus angefangen, in dessen Obergeschoss die Praxis des Allgemeinmediziners Loibl lag, bis hin zum Haupteingang von St. Hilarius. Direkt gegenüber der Kirche lag zum Beispiel die Bäckerei, an die der vermutlich kleinste Supermarkt der Welt angrenzte. Am unteren Ende des Platzes befand sich die Gaststätte, schräg gegenüber wartete der Brunnen, und daneben stand der kleine Kiosk, der von Biene Wieland betrieben wurde.
Heiland und Fräulein Dimpel hatten sich die Mäntel angezogen. Nun spazierten sie durch sanften Schneefall auf die hell erleuchteten Fenster derstolzen Kaiserkrone zu. Diestolze Kaiserkrone gehörte zu Sonntal wie der nahe Wald, die Kuhweiden auf den Hängen und die weiß-blauen Fahnen vor dem Rathaus. Betrieben wurde der Gasthof mit den schmucken Fensterläden vom Wirtsehepaar Gerd und Gerda Söhnchen, deren Tochter Monika schon in jungen Jahren höchst erfolgreich mit dem damals nicht minder jungen Tobias Kern angebandelt hatte – anfangs sehr zum Leidwesen ihrer Eltern. Die Söhnchens führten ihr Haus mit ebenso strenger wie effizienter Hand. In derstolzen Kaiserkrone blieb niemand hungrig oder durstig, der das nötige Kleingeld mitbrachte, und an Gerd Söhnchens langem Tresen waren alle willkommen, die sich zu benehmen wussten – erst recht an Sonntagvormittagen, wenn der Frühschoppen auf das Hochamt folgte, oder bei den diversen Stammtischen, die im Schankraum tagten.
In diesem herrschte aktuell Hochbetrieb. Heiland staunte nicht schlecht, als er den Raum an Dimpels Seite betrat. Sämtliche Tische waren belegt, und an der hölzernen Theke war kein Sitzplatz mehr frei. Außerdem drang Weihnachtsmusik aus dem Saal herüber, die sich anhörte wie live gespielt.
»Was ist denn hier los?«, murmelte die Haushälterin. »Und warum haben alle noch die Mäntel an?«
Magdalena Schönbach zählte zu den Personen, die am Tresen ausharrten – und das gleich neben der Tür. Sie hörte Dimpel und drehte sich sofort zu ihr um.
»Wegen des Musikvereins, Elvira«, wusste die Sonntaler Dame. »Der probt im Saal und ist noch nicht fertig. Wir müssen daher wohl warten.«
»Noch nicht fertig ist gut«, schaltete sich Erich Bender ein. Der Betreiber des DorfkinosRoxy zählte – ganz im Gegensatz zu Frau Schönbach – zu den vertrauteren Gesichtern am Tresen des Gasthofs. »Den Musikverein trifft gar keine Schuld. Soweit ich weiß, hat Gerd den Saal für heute gleich doppelt vergeben – an den Vereinund an Moritz Mindenfeld.«
»Das ist mal wieder typisch«, schimpfte Schönbach leise. »Gerd hat wohl nicht geglaubt, dass es tatsächlich zu dieser Planungssitzung kommt. Aber kassiert hat er trotzdem.«
»Du kennst doch Gerd«, stimmte Bender ihr zu. »Bevor der Gefahr läuft, niemanden im Saal zu haben, vergibt er ihn lieber einmal zu oft. Nur zur Sicherheit. Ein leerer Saal bestellt kein Bier.«
Heiland begriff. Der stets geschäftstüchtige Wirt war offenbar auf Nummer sicher gegangen und hatte ebenso wenig an einen Sonntaler Weihnachtsmarkt geglaubt wie Heiland selbst.
»Nun«, wandte sich der Pastor an Schönbach und den Kinobesitzer. »Dann warten wir eben. Bürgermeister Mindenfelds Sitzung läuft uns ja nicht weg und …«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Denn Moritz Mindenfeld erschien im Durchgang zum großen Saal des Lokal