Kapitel 2
Der Geist von Zimmer dreizehn
»Hallo, Herr Heiland. Na, auch schon in Gruselstimmung?«
Heiland blieb vor der offenen Kirchenpforte stehen und sah sich fragend um. Erst jetzt bemerkte er die Besitzerin der Stimme. Sie stand vor ihrem Zeitungskiosk und winkte.
»Ach, Frau Wieland«, grüßte er zurück und ging zu ihr. »Sie ganz offensichtlich.«
Die junge Frau mit den schwarzen Haaren hatte einen Korb voller Deko-Artikel neben sich stehen. Darin lagen Spukgespenster aus Pappe, einige kleine Plastikkürbisse und sogar künstliche Spinnweben. Einen Teil des Sammelsuriums hatte sie bereits von außen an ihrem Kiosk befestigt, der Rest würde gewiss bald folgen.
Heiland mochte Sabine Wieland. Schon oft hatte er sie draußen auf dem Campingplatz am See besucht, wo sie sich als Dauercamperin niedergelassen hatte und eines dieser modernen Tiny Häuser bewohnte. Letzteres teilte sie sich mit Queenie, einer bezaubernden Pitbullhündin, die den traditionell-konservativen Bewohnern des Dorfes nicht minder suspekt war wie die überall geoutete Lesbe Wieland selbst.
»Es ist Halloween«, erklärte sie gerade. »Da muss auch so ein Kiosk mit der Zeit gehen. Außerdem macht es ja Spaß. Sehen Sie? Sogar unser Bäcker springt schon auf den Zug auf.«
Heiland folgte ihrem ausgestreckten Arm, der auf Bäcker Bais’ Schaufenster wies, und fand auch in diesem plötzlich Plastikkürbisse, Spinnweben und eine durchaus unheimlich anmutende Vogelscheuche wieder. Am Vormittag waren sie noch nicht dort gewesen, da war er sich sicher. In der Tat schien das »neumodische« Fest Halloween in seiner Gemeinde Fuß zu fassen – mit jeder verstreichenden Stunde mehr.
»Wie überaus, äh«, begann er, suchte dann nach dem richtigen Wort und entschied sich schließlich für ein wenig überzeugt klingendes »schön.«
Wieland lachte. »Sie haben’s nicht so mit Geistern, hm?«
»Gegen Spaß ist absolut nichts einzuwenden, meine Liebe«, versicherte er ihr. »Ich halte es mehr mit dem Heiligen Geist, aber die Leute sollen und dürfen natürlich ihr Vergnügen haben. Dem gibt die Kirche gern ihren Segen – und ich sowieso. Aber wo wir gerade von Geistern sprechen … Sagen Sie, wissen Sie zufällig von einem Spuk in derstolzen Kaiserkrone?«
Verdutzt runzelte die Kioskbetreiberin die Stirn. »Nee. Da soll’s spuken?«
»Zumindest früher einmal«, gab der Geistliche zurück. »Fräulein Dimpel hat vorhin beim Mittagessen so etwas angedeutet. Ein Herr Behrlauch will seinerzeit dort Geister gesehen haben und …«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Denn Wieland hatte jemanden hinter ihm erblickt, den sie nun fröhlich zu sich winkte.
»Tobi?«, rief sie dabei. »He, Tobi. Komm mal grade, ja? Das hier musst du hören.«
Tobias Kern spazierte gerade vom Rathaus herüber und nahm die Einladung sichtlich gern an. Auch ihn konnte Heiland ausgesprochen gut leiden. Kern war ein ehrbarer, fleißiger Mann, der sich redlich anstrengte, die Sonntaler Morde aufzuklären. Dass es ihm dabei meist an Beobachtungsgabe und deduktivem Talent mangelte, wusste er selbst. Entsprechend bereitwillig ließ er sich bei seinen Ermittlungen von Heiland unterstützen. Gemeinsam hatten sie bislang noch jeden einzelnen Fall aufgeklärt.
»Worum geht’s denn?«, fragte der Mittdreißiger. Ein besorgter Ausdruck schlich dabei über seine dauerblassen Züge. »