Prolog
Am 25. September 2021 spreche ich in das Mikrofon meines Smartphones: „Noch ein letzter Tag, dann ist es so weit. Gott, ich vertraue dir, dass du jeden Schritt führst, der da kommt. Dein Wille geschehe.“
Am nächsten Morgen werden rund 45 Millionen deutsche Bürger zur Urne gehen. Die Bundestagswahl steht an. Für mich ist es die vierte als Berufspolitiker, wenn man jene im Jahr 2009 mitzählt, die mich in den Bundestag brachte. Seitdem habe ich immer das Direktmandat in Chemnitz geholt.
Doch diese Wahl wird anders sein. Sie wird mich das Amt kosten.
Am Vorabend ahne ich das noch nicht. Ich bespreche wie so oft mein Audiotagebuch. Dutzende Male habe ich das in den Wochen vor der Wahl getan. Das Handy ist mein Vertrauter. Und dem habe ich vor allem eines offenbart: meine Zuversicht. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich es wieder schaffe. So wie in den Jahren zuvor: das erste Mal als Überraschungssieger. Und das letzte Mal sogar, nachdem mein AfD-Herausforderer Nico Köhler in den ersten Hochrechnungen vorne gelegen hatte. Erst spät in der Nacht war im September 2017 klar: Ich gewinne, wenn auch nur mit 2,5 Prozentpunkten Vorsprung.
Deshalb gebe ich in diesen Tagen vor der Wahl 2021 auch nicht viel auf die Prognosen, obwohl sie durchaus gemischt sind. Meine härtesten Konkurrenten im Wahlkreis Chemnitz sind Detlef Müller von der SPD und Michael Klonovsky von der AfD. Letzterer war bis dato Redenschreiber des AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, arbeitete davor für die einstige Parteichefin Frauke Petry. Die Umfragen sehen ihn immer abwechselnd mit mir und dem SPD-Kollegen ganz vorne. Das hat auch damit zu tun, dass die CDU im Bund es in diesen Tagen schwer hat. Noch immer hängt meiner Partei im Nacken, dass Kanzlerkandidat Armin Laschet sich während eines Besuchs im Gebiet der Flutkatastrophe im Ahrtal bei einem unbedachten Lacher filmen ließ. Im Vordergrund sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über das Leid der Anwohner und im Hintergrund schien sich der mögliche künftige Kanzler über einen unbedachten Witz zu amüsieren. Weder das politische Berlin noch die Chemnitzer haben diesen Auftritt honoriert, auch wenn er in meinen Augen wenige Rückschlüsse auf die Qualität eines Politikers zulässt. Wem passiert schließlich nicht mal ein Ausrutscher, erst recht in Zeiten der Anspannung? Ich weiß, wovon ich rede. Dennoch: Ein parteiinterner Streit darüber, ob Laschet überhaupt zum Kanzler taugt, dauerte noch bis Wochen vor der Wahl an. Das gilt auch für Chemnitz, die Stadt wählt traditionell eher links meiner Partei. Nun ist die CDU zusätzlich angeschlagen. Wir könnten die Wahlen verlieren. Auf Bundesebene, aber eben auch hier in meiner Heimat.
Mir ist all das bewusst und doch lege ich mich an diesem Samstagabend ins Bett und blicke fröhlich auf den kommenden Sonntag. Gottes Wille geschehe. Das ist mein Abendgebet, diese Worte machen mich ruhig. Das haben sie schon mein ganzes Leben lang. Ich bin Christ, Pastor, ehemaliger Heilsarmee-Offizier und bis dato einer von zwei evangelischen Freikirchlern im Deutschen Bundestag. Manche nennen mich fromm. Ich schließe die Augen und finde schnell in den Schlaf. Gottes Will