|15|2 Lehrzieltaxonomien
In diesem Kapitel werden zwei Lehrzieltaxonomien (Bloom et al., 1956;Anderson& Krathwohl, 2001) vorgestellt, die sich als nützlich für die Konstruktion lehrzielorientierter bzw. kriteriumsorientierter Tests erwiesen haben. Die Taxonomie von Anderson et al. ist eine Weiterentwicklung der von Bloom et al. und wird mit zunehmender Häufigkeit in Forschung und Praxis verwendet. Die Bezugnahme auf Lehrzieltaxonomien für die Testkonstruktion ist von herausragender Bedeutung, weil sie darüber entscheiden, welche Art von Lernergebnissen überhaupt erfasst werden können. Die Produktion von Lernergebnissen wird in diesen Taxonomien unterschiedlichen kognitiven Prozessen zugeordnet. Für jeden dieser Prozesse werden Beispiele sowohl für Lehrziele als auch für Testitems vorgestellt.
2.1 Lehrziele unterscheiden sich in Abhängigkeit von der Wissensdomäne
Die Art von Wissen, das gelernt werden soll, spiegelt sich auch in den Lehrzielen wider. Es gibt eine Reihe wichtiger Lerntheorien, die sich in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen haben, Lehrziele zu klassifizieren. Eine dieser Lerntheorien, die international besondere Bedeutung erlangt haben, ist die kognitive Lehrzieltaxonomie vonBloom und Kollegen (1956). Im System von Bloom sind drei Bereiche des Lernens unterscheidbar: das kognitive, das affektive und das psychomotorische Lernen. Daskognitive Lernen beinhaltet Lehrziele, die mit Denken, Wissen und Problemlösen zu tun haben.Affektives Lernen umfasst Ziele, die Haltungen, Werte und Interessen beinhalten. Daspsychomotorische Lernen lässt sich mit Zielen in Verbindung bringen, die manuelle und motorische Fertigkeiten betreffen.
Die kognitive Domäne ist diejenige Domäne, in der am häufigsten und intensivsten zur Curriculumsentwicklung und zur Definition von Lehrzielen geforscht wurde. Die affektive und die psychomotorische Domäne sind im Vergleich zur kognitiven Domäne weitaus schlechter untersucht. Entsprechend wenige Studien existieren zur Testentwicklung. Aus diesem Grund wird von einigen Autor*innen (z. B.Pierre& Oughton, 2007;Wu, Kao, Wu& Wei, 2019) die Notwendigkeit weiterer Forschung zu affektiven Lehrzielen betont. Ein Argument, dass die Wichtig|16|keit affektiver Lehrziele unterstreicht, besteht darin, dass kognitive Prozesse praktisch nie ohne affektive Prozesse möglich sind (Clarke& Fiske, 1982). Darüber hinaus wird auch verschiedentlich ein Mangel an sog. Soft Skills, die auch zu den affektiven Lehrzielen gehören, beklagt. Dazu gehören unter anderem die Fähigkeit, im Team zu arbeiten, die Akzeptanz von Diversität oder die Fähigkeit zuzuhören (Pierre& Oughton, 2007). Auch psychomotorische Prozesse lassen sich kaum von kognitiven oder affektiven Prozessen trennen. Jede Lernaktivität erfordert in unterschiedlichen Anteilen kognitive, affektive und psychomotorische Vorgänge: Studierende denken, erleben Gefühle und bewegen sich dabei auf bestimmte Art. Ferner konnte gezeigt werden, dass „kognitives Lernen“ durch Bewegung unterstützt werden kann (Abedi& O’Neil, 2005).
Ich beschränke mich in diesem Leitfaden dennoch auf die kognitive Domäne. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens ist sie die Domäne, für die Lehrziele am präzisesten formuliert und überprüft werden können. Kognitive Lehrziele sind praxistauglich und in der akademischen Lehre umsetzbar (Biggs& Tang, 2011). Zweitens ist die kognitive Domäne die für das universitäre Lernen bedeutsamste Domäne. Kognitive Lehrziele haben bei Hochschullehrenden eine große Verbreitung gefunden (Volk, 2020). Sie passen außerdem sehr gut zu den Bildungsstandards, wie sie im Zusammenhang mit der Kompetenzorientierung formuliert worden sind (Göldi, 2011).
2.2 Die Lehrzielklassifikation nach Bloom
Benjamin Bloom und seine Mitarbeiter Max Engelhart, Edward Furst, Walter Hill und David Krathwohl veröffentlichten1956 ein System zur Klassifizierung von Lehrzielen, das unterschiedliche Ebenen kognitiver Prozesse abbilden sollte. Das Ergebnis dieser intensiven Arbeit war eine Taxonomie, die kognitive Prozesse auf sechs unterschiedlichen Ebenen lokalisierte: die Ebene des Wissens, des Verständnisses, der Anwendung, der Analyse, der Synthese und der Evaluation. Die unterschiedlichen Ebenen implizieren, dass Prozesse auf höheren Ebenen Prozesse auf unteren Ebenen voraussetzen (auch wenn in der modifizierten Version der Taxonomie das hierarchische Prinzip liberalisiert wurde und Überlappungen der kognitiven Ebenen möglich sind; vgl.Krathwohl, 2002). Beispielsweise setzt die Anwendung von gelernten Inhalten das Verständnis dieser Inhalte voraus.Abbildung 2 zeigt schematisch die hierarchischen Beziehungen zwischen den Lehrzielen. Diese Taxonomie kann Dozierenden bei der Unterrichtsvorbereitung und der Verwendung informeller und standardisierter Tests helfen, weil sie Klarheit verschafft über die jeweils zu lernenden und zu testenden Inhalte.
Mit Ausnahme der Anwendungsebene ist jede Ebene noch einmal in Subkategorien untergliedert worden.Tabelle 1 zeigt die ursprüngliche Taxonomie von Lehrzielen nachBloom et al. (1956). Die Übersetzung stellt in Teilen eine Vereinfachung der ursprünglichen Taxonomie dar.
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Lehrziel-Ebene | Sub-Ebene | Beispiel |
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Wissen | Faktenwissen | Wissen über unterschiedliche Kulturen |
Wissen über Verarbeitung und Darstellung von Fakten | Wissen über Konventionen |
Wissen über Theorien | Wissen über das Periodensystem der Elemente |
Verständnis | Übersetzung | Übersetzen eines Problems, das in technischer Sprache verfasst ist, in Umgangssprache |
Interpretation | Schlussfolgerungen aus Daten ziehen |
Extrapolation | Einen Trend in Daten erkennen |
Anwendung | (keine Sub-Ebene) | Einen diagnostischen Vorgang auf einen unbekannten Fall anwenden |
|18|Analyse | Analyse von Elementen | In einer Aussage Fakten von Behauptungen unterscheiden |
Analyse von Beziehungen zwischen Elementen | ... |