22. Dezember: Morgens
Wie konnte er nur! Thekla schaut missmutig aus dem schmutzigen Küchenfenster in den Garten. Spatzen. Aufgeplustert zu braunen Federbällchen tummeln sie sich vergnügt in den kahlen Ästen des Kirschbaums. Sind die blind? Im Sommer verdeckt der füllige Baum die Sicht auf das Nachbarhaus. Aber nun ist Theklas Blick der Dekorationswut der dort lebenden Familie schutzlos ausgeliefert. Fünf zurechtgestutzte Büsche haben rote Weihnachtsmannmützen auf. In jedem Fenster außer denen mit Milchglasscheibe blinkt ein bunter Schlitten oder Stern. Und: Auf dem perfekt ausgelegten Rollrasen, bedrohlich nah an der Grenze zu ihrem eigenen Garten, grinst ihr ein riesiger, aufgeblasener Plastikschneemann wie ein Zombie entgegen! Den rechten Arm erhoben, als wolle er gleich zuschlagen. Das grünrot gestreifte Band um seinen Hals hängt schlaff herab. Billiges Plastik. Fake würde Robin sagen. Was muss im Leben passieren, um kurz vor Weihnachten das Bedürfnis zu haben, seinen schlechten Geschmack dermaßen offensichtlich zur Schau zu stellen? Oder um sowas zu mögen? Die Familie ist erst im Sommer dort eingezogen. Nachdem sie sie monatelang mit lauten Umbaumaßnahmen gequält haben. Und jetzt das als Belohnung, oder wie soll sie das interpretieren? Diese Nachbarn sind selbstverständlich nett, aber in ihrer ganzen Nettigkeit auch mindestens furchtbar.
Die Spatzen! Kein Wunder, dass sie zu ihnen kommen. Wann hat sie das letzte Mal überprüft, ob in dem Futterhäuschen draußen noch genug Körner sind? Oder hat Henri sich darum gekümmert? Wenn sie bei uns nichts finden, fliegen sie woanders hin. Aber am nächsten Tag sind sie wieder da. Also kann es hier so schlimm nicht sein. Die Spatzen stört es nicht, dass der Rasen unter dem Herbstlaub verschwunden ist. Oder dass zarte Pflänzchen zwischen den Terrassenplatten wachsen. Sie mögen den Garten so, wie er ist. Dieser Gedanke bestätigt sie in einem Streit, der gestern Abend wie aus dem Nichts über sie hineinbrach. Weil Henri mit einem Weihnachtsbaum nach Hause kam, den er auf der Terrasse abstellte, wobei sich ihm der angeblich erbärmliche, ja peinliche Zustand des Gartens offenbarte.
„Du kümmerst dich aber auch um gar nichts.“
„Was?“
„Na ja, so muss es doch wirklich nicht aussehen.“
„Es dauert doch noch, bis wir da wieder sitzen. Warum sollen wir uns jetzt die Arbeit machen?“
„Was sollen die Nachbarn denken?“ Diese Frage formulierte er wortwörtlich so. Wie konnte er nur?
Vielleicht hätte sie das Weinglas nicht so auf den Tisch knallen müssen, dass der Rotwein in hohem Bogen auf die Tischdecke, ein Geschenk seiner Mutter zum ersten Advent, schwappte. Aber in Anbetracht dessen, was seine Äußerung in ihr auslöste, fand sie den äußeren Schaden überschaubar.
Sie hätte