1. KAPITEL
Es war zwei Uhr nachmittags, und Marie hatte das Gefühl, im Himmel auf Erden zu sein.
Erst seit wenigen Tagen war sie auf dem Kreuzfahrtschiff, aber schon jetzt genoss sie diese wundervolle, entspannte Stimmung, die sich unter wärmender Sonne, blauem Himmel und bei herrlichem Essen einstellte. Und wenn man vom Meer umgeben war. Von schimmerndem, türkisblauem Meer.
Sie stand an Deck, in ihrer Arbeitskleidung aus gelben Bermudashorts und grauem T-Shirt mit den dezent gestickten InitialenGH auf der Brusttasche, und schaute mit halb gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen auf das glitzernde Meer und die weiße Schaumspur, die sich hinter dem Kreuzfahrtschiff herzog. Sie hatte das Meer schon immer geliebt. Marie war an der Küste von Cornwall aufgewachsen, bis ihre Eltern starben. Danach hatte eine entfernte Verwandte sie zu sich nach London genommen. Das war jetzt sieben Jahre her.
Marie konnte ihr Glück immer noch nicht fassen, dass sie diesen Job auf der „Greystone H.“, ergattert hatte. Sie war London leid, ganz zu schweigen von ihrer Tante, die ihr niemals das Gefühl gegeben hatte, willkommen zu sein in ihrem sauberen kleinen Reihenhaus. So war in Marie der Entschluss gereift, sich sobald wie möglich einen Job zu suchen.
Sie wusste immer noch nicht, wie es ihr gelungen war, die private Vermittlungsagentur zu überzeugen, dass sie genau die Richtige für die Stellung auf dem Kreuzfahrtschiff war. Sie hatte keinerlei Erfahrung im Kellnern und noch weniger Erfahrung darin, auf hoher See zu arbeiten. Mit ihren einundzwanzig Jahren war sie überhaupt noch reichlich unerfahren. So war sie ziemlich erstaunt gewesen, als man ihr dann mitteilte, dass sie die Stellung bekommen hatte. Erst während des Vorstellungsgesprächs war ihr nämlich klar geworden, dass sie durchaus schrecklich seekrank werden konnte, sobald das Schiff auch nur den Hafen verlassen hatte. Glücklicherweise war es nicht dazu gekommen.
Sie verbrachte noch eine halbe Stunde an Deck und unterhielt sich mit einem der Gäste. Die meisten von ihnen kannten sie bereits. Dann begab sie sich zurück unter Deck.
Was die luxuriöse Ausstattung betraf, war das Kreuzfahrtschiff auf den neuesten Stand gebracht worden. Es hatte einer kurz vor der Pleite stehenden Reederei gehört und war vor wenigen Monaten von einem vermögenden Spekulanten gekauft und von Grund auf renoviert worden. Marie hatte all diese Informationen von Besatzungsmitgliedern, die schon vorher auf dem Schiff gearbeitet hatten und froh und dankbar waren, dass der neue Besitzer sie davor bewahrt hatte, sich in die Schlange der Arbeitslosen einzureihen.
Im Esssaal waren die Tische nur zur Hälfte besetzt. Viele der Passagiere machten in ihren Kabinen ein Schläfchen, und der Rest verteilte sich über das ganze Schiff. Einige genossen auf Liegestühlen neben dem Swimmingpool die Sonne, andere schlenderten auf Deck herum, spielten Karten oder lasen in dem gemütlichen Aufenthaltsbereich des Schiffes, der ihnen das Gefühl vermitteln sollte, sich wie zu Haus zu fühlen. Ein sehr teures und schickes Zuhause.
In der Küche herrschte rege Betriebsamkeit. Die Köche bereiteten das Abendessen vor, während ein erlesenes Büfett mit Kuchen und Tee schon auf die Gäste wartete.
Jessica, eine junge Kollegin in Maries Alter, verzog das Gesicht und stieß sich mit dem Zeigefinger in den Bauch.
„Was glaubst du, was das hier ist?“, fragte sie.
Marie betrachtete sie gedankenvoll. „Nun, ich war zwar nie sonderlich gut in Biologie, aber ich denke, es handelt sich um deinen Bauch“, antwortete sie dann mit gespieltem Ernst.
„Haha! Es ist nicht nur schlicht mein Bauch, sondern es ist mein Fettbauch, ein Bauch, der all diesen Verlockungen nicht widerstehen kann, ein Bauch, der seinen eigenen Willen besitzt!“
Sie reichte Marie ein Tablett mit Kuchen, damit sie es zum Büfett brachte.
„Wie soll ich nur jemals mit meinem eigenen Partyservice zurechtkommen, wenn ich das ganze Essen selbst vertilge?“, jammerte Jessica, und Marie lachte.
„Das packst du schon“, sagte sie. „Fett, aber außerordentlich tüchtig, wirst du die be