Die diagnostische Abklärung umfasst in einem ersten Schritt die Abgrenzung anderer somatischer, neurologischer und psychopathologischer Störungen (Dreissen, Cath& Tijssen, 2016;Wardrope, Newberry& Reuber, 2018;Stone, Reuber& Carson, 2013). Das breite Spektrum differenzialdiagnostischer Alternativerklärungen für die Symptomatik erfordert interdisziplinäre Kooperation mit neuropädiatrischer, pädiatrischer, kinder- und jugendpsychiatrischer, psychotherapeutischer und klinisch-kinderpsychologischer Kompetenz. DieTabelle 3 bietet eine Übersicht zu den einzelnen Leitlinien dieses Bandes für den diagnostischen Untersuchungsgang.
L1
Diagnostisch und interaktionell sinnvolle Etappenschritte bei der Strukturierung von Anamnese und Exploration
L2
Anamnese und Exploration der Symptomatik und ihrer Folgebeeinträchtigungen
L3
Diagnostische Verdachtshinweise für eine dissoziative Bewegungsstörung
L4
Diagnostik dissoziativer Anfälle
L4.1
Somatisch-neurologische Hinweiszeichen
L4.2
Psychologische Risikofaktoren, Verlaufsmerkmale und Hinweiszeichen
L4.3
Differenzialdiagnostische Abgrenzung von sonstigen Anfallsereignissen
L4.4
Differenzialdiagnostische Abgrenzung der wichtigsten psychischen Störungsbilder
L4.5
Abgrenzung von Formen abweichenden Krankheitsverhaltens
L5
Exploration der psychosozialen Auswirkungen der Konversionssymptomatik
L6
Therapierelevante Schwerpunkte bei der verhaltensanalytischen Exploration
L7
Verhaltensbeobachtung während der gemeinsamen Exploration von Kind und Eltern
L8
Exploration des subjektiven Störungskonzepts
L9
Exploration von Konflikt- und Belastungsfaktoren bei der Störungsgenese
L10
Generieren von Hypothesen zu übergeordneten Störungsmechanismen der Genese von Konversionsstörungen
DieLeitlinie 1 bietet eine Strukturierungshilfe für eine sinnvolle Schrittabfolge bei der Durchführung von Anamnese, Untersuchung und Exploration. Diese folgt theoriegeleitet dem oben vorgestellten entwicklungsorientierten Störungsmodell (vgl.Abbildung 1 aufSeite 21).
Leitlinie 1: Diagnostisch und interaktionell sinnvolle Etappenschritte bei der Strukturierung von Anamnese und Exploration
Symptomatik und bisheriger Störungs- und Behandlungsverlauf
Spektrum der einzelnen Konversionssymptome,
bisheriger Symptomverlauf,
begleitende dissoziative Empfindungen und Bewusstseinsstörungen,
Komplettierung der allgemeinen medizinischen Anamnese,
bisheriger Behandlungsverlauf.
Folgewirkungen des Lebens mit der Symptomatik und Adaptation von Kind und Familie (zweite Störungsetappe)
Funktionelle Beeinträchtigungen und psychosoziale Teilhabe,
subjektives Störungs- und Behandlungskonzept,
Krankheitsängste,
Angst vor Stigmatisierung,
angenehme Konsequenzbedingungen,
Beurteilung der bisherigen entlastenden wie belastenden Verstärkerbilanz.
Allgemeine psychologische Anamnese und Diagnostik bis zur Manifestation der Konversionssymptomatik (erste Störungsetappe)
Komplettierung der psychologischen bzw. psychopathologischen Eigen- und Familienanamnese,
Erkundung und Exploration möglicher auslösender Konflikt- und Belastungsfaktoren im Vorfeld der Manifestation.
Die Abfolge der Themen bei der Anamneseerhebung und Fallkonzeption ist so gewählt, dass sie möglichst den aktuell subjektiv drängenden Themen der Familie folgt. Der gemeinsame Fokus stärkt so die sich erst noch entwickelnde therapeutische Beziehung.
Die Anamneseerhebung startet daher bewusst mit einer medizinisch-diagnostisch akzentuierten Erfassung der Konversionssymptomatik. So wird dem Kind und den Eltern gezielt die Sicherheit vermittelt, dass die Symptomatik in organmedizinischer Hinsicht unvoreingenommen ...