1. KAPITEL
Der Gepäckwagen quietschte wie aus Protest, als Gray Halloran einen weiteren Umzugskarton auf das wackelige Gestell hievte. Es war nicht zu ändern. In fünfzehn Minuten gab es Lunch auf der Moosehorn River Lodge, und Gray hatte seiner Schwester versprochen, seine Sachen vom Truck abgeladen und in sein Zimmer gebracht zu haben, bevor sich auch nur einer ihrer zahlenden Gäste zum Essen hinsetzte.
Zu ihr ziehen zu müssen war schon beschämend genug. Er musste nicht auch noch ihren Betrieb stören.
Sein Handy summte beim Empfang einer Textnachricht.
Emma:Du lädst jetzt erst ab?
Er verkrampfte sich.Spionierst du mir nach? tippte er ein.
Ich kann den Parkplatz von meinem Büro aus sehen. Du hättest schon vor einer Stunde hier sein sollen.
Er seufzte. Sie hatte recht.Sorry. Mom hat mich festgehalten, als ich ein paar Sachen zum Einlagern auf die Ranch gebracht habe. Musste ein kaputtes Scheunentor reparieren. Ich beeile mich.
Bitte tu das. Sei bis elf fertig.
Gray versuchte abzuschätzen, ob auf dem Gepäckwagen noch Platz war. Nach drei Jahren als Feuerwehrmann in seiner kleinen Heimatstadt Sutter Creek in Montana war er geübt darin, Schläuche zu rollen und Erste-Hilfe-Ausrüstung zu packen. Dagegen sollte es ein Kinderspiel sein, Kleidung, Bücher und ein paar persönliche Sachen unterzubringen, bis er eine passende Bleibe gefunden hatte.
In Anbetracht der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt mitten in der Ski-Saison durfte er jedoch nicht wählerisch sein, wenn er Emma nicht länger als nötig zur Last fallen wollte.
Du kannst bei mir wohnen, Gray. Jeder braucht am Anfang Unterstützung.
Freundliche Worte. Wenn er nicht darauf sensibilisiert wäre, wäre ihm das unterschwellige Mitleid seiner Schwester vielleicht nicht aufgefallen. Seine Familie betrachtete ihn immer noch als Kind und nicht als Mann von fünfundzwanzig, der in seinem Job Leben und Besitztümer rettete.
Auf dem Gepäckwagen war kein Platz mehr, also würde er ihn noch ein zweites Mal beladen müssen. Gray rollte das Gestell über den kurvigen Weg, dankbar, dass jemand den Schnee der letzten Nacht vom Asphalt gefegt hatte.
Auch wenn er sich über seine Verspätung ärgerte, konnte er die wärmenden Sonnenstrahlen genießen. Zum ersten Mal seit Tagen war der Himmel blau. Gray war froh, zur Abwechslung einmal keinen scharfen Wind an seinem Gesicht zu spüren und statt Schutzausrüstung Jeans, Stiefel und eine Jacke zu tragen.
Der frisch gefallene Schnee legte sich wie eine Decke über die Gärten und die Lodge. Sein Urgroßvater hatte das Blockhaus gebaut. Mit den Wänden aus Naturstämmen und dem grünen Dach fügte es sich harmonisch in die Landschaft ein und wirkte dabei so imposant, dass sogar Gray – immerhin einen Meter neunzig groß – sich klein fühlte.
Er war schon fast am Eingang, als jemand in einem beigefarbenen Overall vor ihm über den Weg und hinter eine der dicken Säulen flitzte.
Gray blieb so plötzlich stehen, dass die Ladung verrutschte. Er griff schnell danach und brachte das Gestell dadurch nur noch mehr ins Wanken.
Ein Karton polterte zu Boden. Dann noch einer.
Bumm. Bum