1. KAPITEL
13 Jahre später
„Du wirst heute Abend die Schönste auf dem Ball sein.“ Beth zog eine Packung Haartönung hervor.
Olivia blickte von dem Bügelbrett auf, wo sie gerade ihr Kleid für das Kostümfest mit Spühstärke einsprühte. „Die Schönste will ich ja gern sein, aber nur, wenn ich dabei mein natürliches Braun behalten darf. Weshalb sollte ich meine Haare flammend rot färben, nur um wie ein Flittchen auszusehen?“
Beth streckte sich auf Olivias breitem Bett lang aus. „Du könntest dich aufmachen, wie du willst, du würdest nie wie ein Flittchen aussehen, glaub mir. Aber wir könnten versuchen, dass du nicht mehr wie die Prüderie in Person aussiehst. Ein bisschen Haartönung, Kontaktlinsen und schicke Kleidung, das würde schon reichen, damit du umwerfend aussiehst.“
Beth begriff in ihrer extrovertierten Art einfach nicht, worauf es Olivia ankam. Sie wollte nicht umwerfend aussehen. Dass die Leute sie für unnahbar hielten, konnte ihr nur recht sein. „Du weißt genau, dass ich keine Kontaktlinsen vertrage.“ In Gedanken ging sie ihre Garderobe durch. „Und ich kleide mich wie eine neunundzwanzigjährige Bibliothekarin mit gutem Geschmack.“
„Vielleicht kannst du dir etwas von Tammy leihen.“
„Eher friert die Hölle zu.“ Ihre ältere Schwester folgte bei ihrer Kleidung dem Grundsatz: so wenig Stoff wie nötig, so viel Haut wie möglich. Und Tammy hatte genau den richtigen Körper, um viel Haut zu zeigen. Olivia schüttelte den Kopf und blickte an sich hinunter. „Kannst du dir vorstellen, wie ich einem von Tammys Oberteilen aussehe? Selbst wenn ich viel Dekolleté zeigen wollte, da ist doch nichts. Aus dem Stoff, der dann übrig ist, könnte ich mir gleich noch einen Rock schneidern.“ Und der Spott der ganzen Stadt wäre ihr auch noch gewiss.
Beth musste lachen. „Zugegeben, aber wenn Tammy in das Alter kommt, wo die Schwerkraft sich auswirkt, wirst du noch unbekümmert Trampolin springen können. Aber jetzt mal ein paar Worte zu dieser Farbe.“
Olivia schob ihre Brille wieder nach oben und sah zu der Packung mit der Haartönung. Sie verwendete viel Zeit und Energie darauf, geschmackvoll und konservativ gekleidet zu sein. Denn ständig hatte sie das Gefühl, die ganze Stadt würde nur darauf lauern, dass sie etwas Unpassendes sagte oder tat.
Einen kurzen Moment wünschte sie, unbekümmerter zu sein, doch dieser Wunsch verflog sofort wieder. „Vergiss es. Ich will auf keinen Fall billig aussehen. Adam will heute Abend etwas Wichtiges mit mir besprechen.“ Bei dem Gedanken musste sie unwillkürlich lächeln.
„Wie bitte?“ Beth runzelte misstrauisch die Stirn.
Sofort legte Olivias gute Laune sich wieder. „Ich weiß nicht, worum es geht, aber es klang wichtig.“
„Seit einem Monat geht ihr miteinander aus. Vielleicht will er heute mit dir schlafen. Sex ist Männern immer wichtig. Kommt gleich nach atmen, essen und fernsehen.“ Seufzend legte Beth die Packung mit der Haartönung wieder weg.
„Du denkst immer das Schlimmste, Beth.“
„Was ist daran schlimm? Ihr wart sechs Mal miteinander aus, und er hat dich doch schon geküsst, oder?“
„Ja, das weißt du doch.“ Genau zwei Mal. Beide Male zum Abschied nach einer Verabredung. Zunächst hatte sie Adam nur als sehr gut aussehenden und einflussreichen Freund betrachtet, aber in letzter Zeit bekam ihre Beziehung einen intimeren Charakter. Allerdings immer noch in Grenzen.
„Er hat ein paar Mal von der Geburtstagsparty seiner Großmutter gesprochen, und ich glaube, er will mich dazu einladen. Das ist wahrscheinlicher, als dass er Sex mit mir will.“ Olivia beguta