: Gertrude Aretz
: Glanz und Untergang der Familie Napoleons. Band 2 Eine illustrierte Biographie in drei Bänden
: apebook Verlag
: 9783961305834
: 1
: CHF 3.60
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: Biographien, Autobiographien
: German
'Glanz und Untergang der Familie Napoleons' ist eine intensive Biographie der gesamten Familie Napoleons. Sowohl die Eltern, insbesondere die Mutter, als auch die Brüder, Schwestern sowie die Geliebten und Frauen werden eingehend porträtiert und in ihrer Bedeutung und ihrem Einfluss auf Leben und Wirken des großen französischen Herrschers dargestellt. In vielen Briefzeugnissen und überlieferten Äußerungen erhält man einen lebendigen Eindruck vom Denken und Fühlen Napoleons sowie dessen engsten Verwandten und Vertrauten. Deutlich tritt hier auch der private Mensch Napoleon Bonaparte hervor, der scheinbar genauso viel Energie aufbringen muss, um seine Familie zu regieren, wie es benötigt, um sein großes Reich zusammenzuhalten. Das ist vielleicht die größte Leistung dieses monumentalen Werkes der renommierten Historikerin Gertrude Aretz - man lernt neben dem Machtmenschen auch den Privatmenschen Napoleon Bonaparte kennen. Das Werk ist reich bebildert mit den originalen Kupfertiefdrucken. Dieses ist der zweite Band der dreibändigen Reihe.

Drittes Kapitel. Lucien und seine beiden Frauen: Christine und Alexandrine


I.

Nach der Geburt Josephs vergingen sieben und ein halbes Jahr, ehe Letizia ihre Familie mit dem dritten Sohne beschenkte. Sie hoffte wohl auf eine Tochter, die ihr das im Jahre 1771 kurz nach der Geburt gestorbene Mädchen ersetzen sollte, doch war auch ein Bube herzlich willkommen. Ja, gerade dieser sollte der Liebling der Mutter werden, vielleicht weil er dem Vater am ähnlichsten war.

Lucien kam am 21. Mai 1775 in Ajaccio zur Welt. Zu jener Zeit war Carlo Bonaparte Beisitzer der Junta von Ajaccio. Die Familie lebte ruhig, doch nicht ohne Sorgen. Die Würden des Vaters kosteten Geld, denn man mußte standesgemäß auftreten. Als es daher galt, auch diesem dritten Sohne eine Erziehung zu geben, versuchte Carlo, ihn, gleich seinen beiden Ältesten, auf Kosten des Königs in Autun unterzubringen. Aber vergebens. Man mußte in den sauren Apfel beißen und Luciens Unterricht bezahlen.

Er hatte inzwischen sein sechstes Lebensjahr, also das schulfähige Alter erreicht. Mit seinem Onkel Fesch, der ihn nach Autun bringen sollte, verließ er im Jahre 1781 die Heimat. Zuerst führte der Onkel den Knaben nach Lyon, zu dem Bruder des Gönners der Bonaparte, dem Bischof Marbeuf. Er war früher Bischof von Autun gewesen, und man hoffte viel von seiner Gunst. So erhielt auch Lucien, wie Joseph, auf Marbeufs Veranlassung später eine für die geistliche Laufbahn bestimmte Erziehung.

Nach einigen Tagen des Aufenthaltes bei dem »guten Monseigneur«, der den intelligenten Jungen mit Zärtlichkeit überhäufte, hielt Lucien in der Schule von Autun seinen Einzug. Dort sah er Joseph wieder, der in Tertia saß. Gerne würde er an der Seite dieses Bruders, dem er zugetan war, seine Studien fortgesetzt haben. Da jedoch sein Vater auch für ihn in Brienne eine Freistelle erlangt hatte, blieb er nur ein einziges Jahr in Autun. Lucien war ein guter Schüler und neben Napoleon gewiß das begabteste Kind Carlos und Letizias.

Sobald Napoleon seine Studien in Brienne beendet hätte, sollte die Freistelle für Lucien dort in Kraft treten, denn es durfte immer nur ein Sprößling einer Familie das Stipendium genießen. Bis zu diesem Zeitpunkte aber waren es noch vier Monate. So mußte der Jüngere vorläufig als zahlender Schüler aufgenommen werden.

Der Wechsel der Unterrichtsanstalt betrübte den kleinen Lucien besonders, weil er nun nicht mehr mit Joseph zusammen sein konnte. Später schreibt er in seinen Memoiren: »Napoleon empfing mich ohne den geringsten Beweis von Zärtlichkeit ... Ich glaube, diesen ersten Eindrücken von dem Charakter meines Bruders habe ich die Abneigung zu verdanken, die ich stets empfunden, mich vor ihm zu beugen. Joseph hingegen, der in meinen Augen der liebenswürdigste, sanfteste Mensch ist, hat mir bis auf den heutigen Tag eine fast väterliche Zuneigung eingeflößt.«

Das Beisammensein der beiden Brüder in Brienne währte übrigens nicht lange. Napoleon bezog, nachdem seine Frist abgelaufen war, die Militärschule von Paris. Der Jüngere setzte seine Studien fort und rief bei den Mönchen, die dieses militärische Institut leiteten, durch seinen lebhaften Geist, seine Vorliebe für die schönen Künste, besonders aber durch seine glänzenden Fähigkeiten nicht geringes Erstaunen hervor. Doch der Knabe eignete sich wenig für den militärischen Beruf. Er war nicht allein kurzsichtig, sondern auch körperlich schwächlich. Zwar behauptete Lucien später, daß er mit seinen Augengläsern genug sähe, um sich schlagen zu können, aber Napoleon konnt