: Friedrich Engels
: Heinrich Detering
: Der deutsche Bauernkrieg. Mit einem Essay von Heinrich Detering Engels, Friedrich - Epochen und Schriften; Bedeutsames der deutschen Geschichte - 14333
: Reclam Verlag
: 9783159622095
: Reclams Universal-Bibliothek
: 1
: CHF 6.70
:
: Neuzeit bis 1918
: German
: 230
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jubiläumsjahr 2025: 500 Jahre Deutscher Bauernkrieg Nach der Niederlage der Revolution von 1848 erinnert Friedrich Engels an die Bauernkriege der Reformationszeit, den »Angelpunkt der deutschen Geschichte«. Keine nüchterne historische Darstellung hatte er dabei im Sinn, sondern eine ermutigende Streitschrift für Zeitgenossen: »Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition.« Seine glänzend geschriebene Darstellung der Aufstände verbindet sozialgeschichtliche Analysen mit einer packenden Erzählung: Ein literarisches Meisterwerk ist neu zu entdecken.

Heinrich Detering, geb. 1959, lehrt deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen. Engels gab er bei Reclam bereits in dem Band Natur und Gesellschaft (UB 14270) heraus.

[8]I.


Gehen wir zunächst zurück auf die Verhältnisse Deutschlands zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.

Die deutsche Industrie1 hatte im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert einen bedeutenden Aufschwung genommen. An die Stelle der feudalen2 ländlichen Lokalindustrie war der zünftige Gewerbebetrieb der Städte getreten, der für weitere Kreise und selbst für entlegnere Märkte produzierte. Die Weberei von groben Wollentüchern und Leinwand war ein stehender, weitverbreiteter Industriezweig geworden, und selbst feinere Wollen- und Leinengewebe sowie Seidenstoffe wurden schon in Augsburg verfertigt. Neben der Weberei hatte sich besonders jene an die Kunst anstreifende Industrie gehoben, die in dem geistlichen und weltlichen Luxus des späteren Mittelalters ihre Nahrung fand: Die der Gold- und Silberarbeiter, der Bildhauer und Bildschnitzer, Kupferstecher und Holzschneider, Medaillierer, Drechsler etc. etc. Eine Reihe von mehr oder minder bedeutenden Erfindungen, deren historische Glanzpunkte die des Schießpulvers und der Buchdruckerei3 bildeten, hatte zur Hebung der Gewerbe wesentlich beigetragen. Der Handel ging mit der Industrie gleichen Schritt. Die Hanse hatte durch ihr hundertjähriges Seemonopol die Erhebung von ganz Norddeutschland aus der mittelaltrigen Barbarei sichergestellt; und wenn sie auch schon seit Ende des fünfzehnten Jahrhunderts der Konkurrenz der Engländer und Holländer rasch zu erliegen anfing, so ging doch trotz Vasco da Gamas Entdeckungen4 der große Handelsweg von Indien nach dem Norden immer noch durch Deutschland, so war Augsburg noch immer der[9]große Stapelplatz für italienische Seidenzeuge, indische Gewürze und alle Produkte der Levante5. Die oberdeutschen Städte, namentlich Augsburg und Nürnberg, waren die Zentren eines für jene Zeit ansehnlichen Reichtums und Luxus. Die Gewinnung der Rohprodukte hatte sich ebenfalls bedeutend gehoben. Die deutschen Bergleute waren im fünfzehnten Jahrhundert die geschicktesten der Welt, und auch den Ackerbau hatte das Aufblühen der Städte aus der ersten mittelalterlichen Rohheit herausgerissen. Nicht nur waren ausgedehnte Strecken urbar gemacht worden, man baute auch Farbekräuter und andere eingeführte Pflanzen an, deren sorgfältigere Kultur auf den Ackerbau im Allgemeinen günstig einwirkte.

Der Aufschwung der nationalen Produktion Deutschlands hatte indes noch immer nicht Schritt gehalten mit dem Aufschwung andrer Länder. Der Ackerbau stand weit hinter dem englischen und niederländischen, die Industrie hinter der italienischen, flämischen und englischen zurück, und im Seehandel fingen die Engländer und besonders die Holländer schon an, die Deutschen aus dem Felde zu schlagen. Die Bevölkerung war immer noch sehr dünn gesät. Die Zivilisation in Deutschland existierte nur sporadisch, um einzelne Zentren der Industrie und des Handels gruppiert; die Interessen dieser einzelnen Zentren selbst gingen weit auseinander, hatten kaum hie und da einen Berührungspunkt. Der Süden hatte ganz andre Handelsverbindungen und Absatzmärkte als der Norden; der Osten und der Westen standen fast außer allem Verkehr. Keine einzige Stadt kam in den Fall, der industrielle und kommerzielle Schwerpunkt des ganzen Landes zu werden, wie London dies z. B. für England schon war. Der ganze innere Verkehr[10]beschränkte sich fast ausschließlich auf die Küsten- und Flussschifffahrt und auf di