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Die dritte Leiche hatten sie aus dem Hudson-River gezogen. Sie stank nach Fisch und sah aus wie eine Makrele, die zu lange in der Sonne gelegen hatte. Spätestens da begriff ich, dass ich dieses Buch schon einmal gelesen hatte. Ich schmiss es in den Papierkorb und machte mir einen Kaffee. Seit einer Woche hatte niemand außer mir mein Büro betreten. Ich hatte noch Reserven für zwei Monate, aber was waren schon zwei Monate? Ich wünschte mir einen dicken fetten Klienten mit einer dicken fetten Brieftasche. Doch seit die Rezession die Teller der Leute leer gefegt hatte, gab es immer weniger dicke fette Klienten, und die paar wenigen, die es noch gab, beschäftigten ein Heer von Anwälten und waren nicht auf die Dienste eines Privatdetektivs angewiesen. Ich stellte mich ans Fenster und schaute den Leuten zu, die auf dem Trottoir gingen und so taten, als sei alles in Ordnung. Vermutlich war es das auch für die meisten. Die ältere Frau von der anderen Straßenseite starrte aus dem halb geöffneten Fenster zu mir herüber. Vor zwei Monaten war ihr Mann gestorben. Einen Tag lang war sie nicht zu sehen. Doch schon am nächsten Tag war sie wieder da und starrte aus dem Fenster. Was auch immer sie da sah, es musste gerade gut genug sein, noch eine Weile am Leben zu bleiben. Während ich mir so meine Gedanken machte, klopfte es an der Tür. Ich drehte mich um, atmete tief durch, dachte an den dicken fetten Mann und setzte jenes Lächeln auf, das in meiner Kindheit meine nächsten Angehörigen davon überzeugen konnte, mich doch nicht an die Nachbarn zu verschenken.
Der dicke fette Mann war weder dick noch fett noch war er ein Mann. Ich schätzte sie um die Dreißig. Sie hatte die Haare zurückgebunden und ihr helles T-Shirt war voll grauer Flecken. Sie war klein, trug Turnschuhe und auf ihrem Gesicht glänzte ein Film aus Schweiß. In ihrer rechten Hand trug sie ein Mobiltelefon. Ich überlegte mir, ob ich in den letzten Tagen Handwerker bestellt hatte. Ich hatte nicht.
»Ich heiße Jasmin Weber. Ich bin hier neu eingezogen …«
»Tatsächlich? Da wird sich der Vermieter aber freuen. Ich habe mit ihm eine Wette abgeschlossen, dass er niemanden finden wird, der neu in diese Bruchbude einzieht, ehe er nicht einige Reparaturen gemacht hat.«
»Meinen Sie die defekten Stromleitungen im Treppenhaus?«
»Unter anderem. Wissen Sie, es treiben sich ab und zu Lebensmüde in der Gegend herum. Die haben vermutlich herausgefunden, dass man in diesem Haus leicht befördert werden kann.«
»Ohne Lift?«
»Ganz nach oben. Das geht auch ohne Lift.«
»Ich habe die Stromleitungen repariert. Sie können also ruhig wieder nachts durch die Gänge torkeln.«
»Wer sagt, dass ich nachts torkle?«
»Na ja, man hört so einiges.«
»Sind Sie Handwerkerin?«
»Nein. Kollegin.«
»Kollegin? Kann man davon leben?«
»Berufskollegin. Zumindest beinahe.«
»Was denn? Hier im Haus? Eine zweite Detektivin?«
»Ich habe mich auf vermisste Personen spezialisiert.«
Ich schluckte einmal leer und schaute ratlos auf die kleine drahtige Frau vor mir. Dieser Schweinehund von einem Hausverwalter hatte mir eine zweite Detektei untergejubelt und das in einer wirtschaftlich mehr als schwierigen Zeit. Ich überlegte mir, ob ich dem Kerl eine runterhauen sollte, wenn ich ihn das nächste Mal