: Katharina Maier
: Nscho-tschi und ihre Schwestern Frauengestalten im Werk Karl Mays
: Karl-May-Verlag
: 9783780216199
: 1
: CHF 5.60
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 464
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Der Wilde Westen und die Mayden– Eine Geschichte voller Missverständnisse


 

Der Vorhangöffnet sich– beziehungsweise der Buchdeckel. Die unendlichen Weiten der amerikanischen Prärie breiten sich vor uns aus, majestätisch, erhaben und menschenleer.

Das heißt, menschenleer bis auf die zwei Männer, die Seite an Seite auf edlen, schwarzen Pferden durch diese unermessliche Weite ziehen, beide in Leder gekleidet, der eine ein Weißer, der andere ein Indianer, bewaffnet mit Bärentöter, Henrystutzen, Silberbüchse und der Macht ihrer unzerbrechlichen Freundschaft.

Old Shatterhand und Winnetou. Es ist ein ikonisches Bild wahrer Freiheit.

Das heißt, männlicher Freiheit natürlich.

„Männer dürfen bei Karl May das, was sie heute und vor allem hierzulande schon lange nicht mehr dürfen: Männer sein“, schreibt Dieter Mank[1] in seinemOffiziellen Endgültigen Handbuch für den Karl-May-Fan. Zwei Seiten später zeigt eine ausgesprochen witzige Illustration eine Frau, die mit einem Nudelholz in der Hand am Rande der erwähnten savannischen Weiten steht und recht bedröppelt auf ein Verbotsschild blickt, auf dem steht:„Karl May County. Frauen! Bis hierher und nicht weiter!“

Irgendwie bringt es das schon auf den Punkt. Der May’sche Westen ist eine Männerwelt. Und das muss er auch sein. Seine Prärien und Gebirge voller‚wilder‘, freier Menschen formen eine Gegenwelt zu der drögen Alltagsrealität, in der wir so oft fremdbestimmt und nicht Herren unseres eigenen Schicksals sind– ganz anders als Winnetou und Old Shatterhand.

„Karl Mays Reiseerzählungen sind Träume von einer besseren Welt, einer Welt, die frei ist von gesellschaftlichen Zwängen und materieller Not. In dem Freiraum des Wilden Westens kann sich jeder seinen Anlagen und seinen erworbenen Fähigkeiten gemäß entfalten; es gibt keine Standes- und Klassenunterschiede. […] Schließlich kann sich in dieser Welt jedermann frei bewegen“, führt Martin Lowsky aus.[2] Die Betonung liegt aufjedermann. Unsere beiden heroischen Blutsbrüder verkörpern voll und ganz ein Ideal autonomer Männlichkeit, das Mays Ich-Held Old Shatterhand noch bei seinem letzten Auftritt inWinnetou IV (heute bekannt alsWinnetous Erben) einfordert:„Habt ihr begriffen, was es heißt, ein Mann zu werden? Eine Persönlichkeit, die aus eigener Energie zu tun und zu handeln weiß, ohne mit sich handeln zu lassen? Eine Persönlichkeit, die ihre Ziele kennt und nach ihnen strebt, ohne nach irgendeiner Seite abzuweichen?“[3]

Der scheinbar grenzenlose Wilde Westen, der fernab von der Reglementierung der Zivilisation liegt, ist genau der Ort, wo ein Mann sich als eine solche selbstbestimmte Persönlichkeit etablieren kann. Hier hängt sein Erfolg ganz von seinen eigenen Fähigkeiten ab– seiner Körperkraft, seiner Gewandtheit, seinem Scharfsinn, aber auch seiner Charakterstärke und seiner moralischen Integrität. Den Gefahren der Wildnis ausgesetzt, muss sich ein solcher„Westmann“ auf sich selbst verlassen können: Er muss gut schießen, reiten und kämpfen können, sich durch Spurenlesen und geschickte Anschleichmanöverüberlebensnotwendiges Wissenüber seine Umgebung aneignen, und er muss sich auf die Gepflogenheiten der in diesem‚wilden Raum‘ ansässigen kriegerischen Indianerstämme einlassen. Wenn er das alles nicht tut, ist er ein toter Mann.

Außerdem hat sich ein echter Westmann an einen bestimmten‚heroischen‘ Kodex zu halten. Dieses ungeschriebene Gesetz ist eine Mischung aus den Normen der indianischen Kriegerkultur, die auf festen,‚ursprünglichen‘ Vorstellungen von Ehre und Edelmut fußt, und aus den humanistischen, menschenfreundlichen Werten der weißen Westmannelite. Wer diesen Code bricht, sich unehrenhaft und gewissenlos verhält, wird sowohl von den Indianern als auch von den‚echten‘ Westmännern verachtet.

Dieses Männlichkeitskonzept, das im fiktionalen Raum des Westens als Wertemaßstab gilt, orientiert sich im Gr