: Carsten Böhn, Matthias Deigner
: Tag am Meer
: Baltrum Verlag Gbr
: 9783910388086
: 1
: CHF 9.90
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 222
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Aus unserer Ausschreibung'Tag am Meer' ergaben sich zwei Anthologien. Die eine'Wo ist Süden? für Kinder von 6 bis 11 Jahre und eben dieses Buch, in dem sich Geschichten für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene finden. Geschichten rund um die See und das Meer. 35 Geschichten, genauso unterschiedlich wie ihre Autor*innen, jede einzelne mit ihrer eigenen Idee. Geschichten mit Humor und zum Nachdenken.

Der Tag am Meer

Natalie Bauer

 

Die Sonne brennt heute unerbittlich vom Himmel herab, so wie die letzten Tage auch. Fast jeder hat im Moment Ferien, kann nicht die Sonne auch mal Urlaub machen? Der nasse Waschlappen auf meiner Stirn hat die angenehme Kühle gefühlt binnen von Minuten verloren. Seufzend nehme ich ihn von der Stirn und lasse Arme und Beine schlapp vom Sessel baumeln. Jetzt bin ich diejenige, die wie ein nasser Waschlappen in der Ecke hängt. Kann mich mal jemand bitte auswringen?

Meine Mutter betritt mit einem dampfenden Kaffee das Wohnzimmer und zieht die Augenbrauen hoch, als sie mich sieht.

»Da ist ja der schmelzende Schneemann.« Ich verdrehe die Augen. Seit ich klein bin, bin ich blass, und dass, obwohl ich dunkle Haare habe. Ich werde in der Sonne nicht braun, höchstens rot. Meist bleibe ich so bleich wie ich bin. Diese Charakteristik hat mir den liebevollen Kosenamen ›Schneemann‹ eingebracht. Ich verdrehe genervt die Augen.

»Und du trinkst noch einen Kaffee bei der Hitze. Bist du unkaputtbar?«

»Kaffee macht müde Menschen munter.«

»Es heißt: 'Milch macht müde Männer munter'. Du trinkst weder Milch, noch bist du ein Mann.«

»Ja, aber verdammt müde«, entgegnet meine Mutter und setzt sich zu mir gegenüber auf die Couch. »Dein kleiner Bruder war mal wieder Alleinunterhalter in der Nacht.« Sie gähnt und nimmt einen großen Schluck von ihrer dampfenden Brühe. Ich werde nie verstehen, was Erwachsene an Kaffee finden. Vor allem nicht im Hochsommer, wo man doch eher eiskalte Zitronenlimonade mit einem bunten Strohhalm genießen sollte.

»Wir fahren heute an den Strand. Willst du mit?« Ihre Frage ist zögerlich, sie versucht es aber so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Und da ist er wieder. Dieser versteckte, hoffnungsvolle Unterton in der Stimme meiner Mutter.

»Wenn du willst, dass nur noch eine Pfütze von mir übrig ist«, sage ich ausweichend.

»Also nein«, seufzt sie resigniert. »Dein Bruder würde sich auch freuen, wenn du mal mitkommen würdest.«

»Er ist doch erst vier, so viel bekommt er doch eh nicht mit.«

»Ich glaube, du unterschätzt die Macht der Erinnerungen«, sagt meine Mutter plötzlich ernst und geht in die Küche. Ich höre Spülmaschinengeklapper. Die Macht der Erinnerung? Ich war länger nicht am Meer, obwohl es so nah ist. Vielleicht gerade, weil es so nah ist. So alltäglich. Ich erinnere mich an Menschenmassen im Sommer und an schmerzenden Ohren im Winter vom Wind. Aber da ist auch etw