: Thomas Podhostnik
: Der Spatzenkaiser
: Luftschacht Verlag
: 9783903422247
: 1
: CHF 8.00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 128
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Leon und Kaj könnten nicht unterschiedlicher sein: Leon ist mit allen Privilegien ausgestattet, alles scheint ihm zuzufliegen; Kaj, der wie sein Freund die Freiheit sucht, muss sich alles selbst erarbeiten. Kennengelernt haben sie sich in einer Fabrik, gemeinsam brechen sie auf eine Reise auf, um dem Alltag zu entfliehen. In einer Wüstenstadt, einer Art pervertiertem Las Vegas, angekommen, verschwindet Leon und Kaj taucht tief in eine absurde und grausame Welt ein, in der die Beziehungen der Menschen untereinander ausschließlich von Abhängigkeiten geprägt sind. Schließlich wird Kaj zu Spiderman, aber nicht als gebrochener Held, sondern als eine kostümierte Figur am Straßenrand, die Flugblätter verteilt, um ganz banal am Leben zu bleiben. Im Mittelpunkt des Romans steht die Legende des Spatzenkaisers, der sich am chinesischen Volk für die Vernichtung aller Spatzen unter der Herrschaft Maos rächen will. Thomas Podhostnik nutzt in seinem vierten Buch moderne Mythen, von Comic-Verfilmungen bis zu Netflix-Serien, gleichsam als Folie für die Bühne, auf der sich ein scheinbar unwichtiges Drama abspielt: Der Untergang eines Individuums, das mit seinen Wünschen, Träumen und Ängsten wie ein entbehrliches Insekt erscheint. Podhostniks Sprache ist rau und seinen Figuren körperlich nahe, er schildert eindrücklich, wie das Prinzip toxischer Männlichkeit funktioniert und wie die Starken die Schwachen in dieser Welt behandeln.

Thomas Podhostnik, *1972 in Radolfzell, Ausbildung als Regieassistent am Teatro Nacional de Cuba (Havanna), Studium der Soziologie und Politik, Absolvent des deutschen Literaturinstituts Leipzig. Thomas Podhostnik ist für seine Texte mit mehreren Preisen und Stipendien ausgezeichnet worden und hat bisher in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht. Er lebt als freier Autor und Regisseur in Leipzig. www.podhostnik.de Titel bei Luftschacht: Der Spatzenkaiser (Roman, 2023), Der falsche Deutsche (Roman, 2015), Die Hand erzählt vom Daumen (Roman, 2011), Der gezeichnete Hund (Roman, 2008)

I


Der Ball klatschte aufs Wasser und schlug Kaj gegen die Schulter.

Die Handballer spielten im Pool Wasserball. Abwechselnd ruderten sie mit den Armen in der Luft. Kaj gab dem Ball einen Stoß, dieser rollte zum Rand und plumpste in den Pool. Sofort entbrannte ein Kampf. Mit kräftigen Zügen stürzten sich die Handballer auf den Ball. Es platschte und spritzte. Sie drückten sich unter Wasser und griffen einander um die Hälse. Der Sieger schleuderte den Ball zur anderen Seite des Pools.

Der Hostelbesitzer baute den Grill auf. Ein massiger Mann mit blasser Haut, roten Rastas, Boxershorts, Sandalen und einem Camouflage-T-Shirt. Einmal in der Woche gab es eine Grillparty.

Das Hostel war der günstigste Ort, den Kaj sich vorstellen konnte. Überhaupt war die Stadt trotz des Glitzers und Prunks günstig. Getränke, Essen, Sex wurden zu Preisen angeboten, als wären es Kleinigkeiten.

Der Hostelbesitzer bürstete das verbrannte Fett vom Grill. Kaj fragte ihn, ob er Hilfe brauche.

Ich zahle nichts!

Ich will auch nichts.

Mein Junge, du willst mir helfen, das ist mehr, als ich will!

Links und rechts stiegen die Handballer aus dem Pool. Sie schrien miteinander, schüttelten ihre Haare und hinterließen eine Spur auf den Fliesen.

Bierdosen schimmerten in der Tiefe. Kaj hatte sich an diesem Morgen im Supermarkt gegenüber ein Zwölferpack besorgt und die Dosen im Pool versenkt.

Er sprang in den Pool und tauchte bis zum Grund.

Früher hatte er Angst vor solchen Sprüngen gehabt.

Die Sonne ließ den Grund erstrahlen, die Bierdosen glitzerten. Er schwebte, hielt den Atem an und atmete doch. Sein Herz klopfte wild.

Alle rannten und schrien durcheinander. Einen nach dem anderen warfen die Handballer in den Pool. Es war schon spät, niemand lachte mehr. Michelle saß in ihrem Korbsessel und trank Bier. Sie hatte die Beine übergeschlagen. Sie wippte mit dem Fuß, ein Flip-Flop hing an ihren Zehen.

Kaj schwamm in die Mitte des Pools.

Aus dem Pool betrachtet wirkten die Handballer noch größer und bedrohlicher. Mit ausgebreiteten Armen standen sie vor und hinter den anderen Gästen. Rannten diese los, sprangen sie auf sie zu und griffen ihnen um den Hals und packten sie an den Armen und Beinen. Das sollte wohl lustig sein, was man an einem Pool eben tat, wenn es eine Party gab. Aber sie lachten nicht, sie grinsten nicht einmal.

Michelle hielt die Arme verschränkt und die Bierdose, die im Schein irgendeines Strahlers aufblitzte, gegen ihren Oberarm gepresst. Seit Michelle im Hostel wohnte, langweilte sich Kaj selten. Wenn sie vorbeiging, begleitete sein Blick die schmächtige Gestalt. Sie wurde nie von jemandem angesprochen, obwohl sie ihren Namen auf dem T-Shirt trug.

Im Licht des Pools konnte er ihr Gesicht sehen.