1. KAPITEL
„Man muss eine Nacht im Hotel verbringen, bevor man ein Angebot macht, weil die bisherigen Interessenten alle einen Rückzieher gemacht haben. Ist das nicht total irre, Grandpa? Ich meine, da drin spukt es doch ganz bestimmt, so alt, wie der Kasten ist“, sagte Cara Summers zu ihrem Großvater … im Regal hinter dem Tresen.
Er befand sich in einer leeren Jack-Daniels-Flasche. Auf eigenen Wunsch.
Cara hatte ihm all seine letzten Wünsche erfüllt, unter anderem den, eingeäschert zu werden, um anschließend vom Regal hinterm Tresen aus alles beobachten zu können, was in seiner früheren Bar vor sich ging.
Er gab jedoch keine Antwort, zumindest nicht hörbar. Cara erwartete natürlich auch keine, hatte jedoch oft das Gefühl, seine Gegenwart zu spüren, wenn sie mit ihm sprach. Siewusste einfach, dass er bei ihr war, und deshalb redete sie mit ihm. Fast so entspannt wie zu Lebzeiten. Na ja, eher noch entspannter, weil er sie nicht mehr ständig unterbrach.
„Die Bar ist doch leer. Mit wem sprichst du da?“
Cara erkannte die männliche Stimme, auch ohne sich umzudrehen. Und das lag nicht nur an dem unverwechselbaren Tonfall, den sie nach all den Jahren ihrer Freundschaft natürlich kannte, sondern an der Reaktion, die nur seine Stimme in ihr auslöste. Die sechs Carson-Brüder mit ihren tiefen männlichen Stimmen klangen zwar alle ähnlich, aber bei den anderen bekam Cara keine Gänsehaut. Und ihr wurde auch nicht verdächtig heiß, wenn sie mit ihnen sprach. Das wäre ja auch viel zu einfach.
Kit Carson flirtete nämlich gern mit ihr oder hatte das zumindest getan, bevor er Shelby Sohappy geheiratet hatte. Und Flint flirtete schon allein deshalb mit ihr, um Jace zu ärgern. Ernst meinten es jedoch beide nicht. Okay, vielleicht hätten sie sogar etwas mit ihr angefangen, wenn sie sich darauf eingelassen hätte. Die Carson-Brüder waren nämlich nicht gerade wählerisch, was Frauen anging.
Bis auf Jace. Quatsch, Jace war auch nicht wählerisch. Es war nur so … Er interessierte sich einfach nicht aufdie Art für sie. Schon allein die Andeutung machte ihn stinksauer. Sie waren nämlich Freunde. Beste Freunde, und zwar schon seit der Mittelstufe.
Irgendwie war es eine seltsame Freundschaft. Jace fühlte sich nämlich gewissermaßen für Cara verantwortlich und war daher manchmal etwas bevormundend. Wie ein großer Bruder.
Wahrscheinlich war es so, weil sie für ihn eine Art Schwesterersatz war. Für seine jüngere Schwester Sophia, die nicht mehr am Leben war. Cara hatte das immer gewusst und machte sich daher keinerlei Illusionen. Trotzdem störte es sie in letzte Zeit immer öfter.
Denn leider stand sie auf ihn, er aber nicht auf sie.
„Ich erzähle Grandpa gerade von meinem neuen Hotelplan.“
„Aha.“ Jace sah sich demonstrativ um. „Ist er denn hier?“
Sie zeigte auf die provisorische Urne. „Er istimmer hier.“
„Cara …“
Sie seufzte ungeduldig. „Ich weiß, du glaubst nicht an so etwas, aber ich schon. Ich bin überzeugt, dass er mich hört, wenn ich mit ihm rede.“
„Das ist bestimmt eine sehr tröstliche Vorstellung.“
„Ist dir eigentlich bewusst, wie herablassend das klingt?“
„So ist das gar nicht gemeint. Ich bin einfach skeptisch. Obwohl ich gut nachvollziehen kann, dass du das Gefühl brauchst.“
So war Jace. Durch und durch nüchtern und bodenständig.
Dabei war er für sie eher ein Wunder. Ein Wunder von einem Mann nämlich: eins neunzig groß, breitschultrig, durchtrainiert und ohne ein Gramm Fett zu viel. Er hatte ein markantes Kinn und einen unwiderstehlichen Mund mit einer schmalen weißen Narbe auf der Oberlippe. Bestechend waren außerdem seine jeansblauen Augen.
Die Carson-Brüder besaßen optisch alle unterschiedlichen Kombinationen von sehr ähnlichen und attraktiven Merkmalen, die sich in allen sechs Fällen zu einem geradezu überwältigenden Abbild männlicher Schönheit zusammenfügten. Der weiblichen Bevölkerung gegenüber war das natürlich sehr unfair, aber das ließ sich leider nicht ändern.
Am unfairsten fand Cara noch, dass die Schönheit von Jace’ Brüdern sie kaltließ. Denn sie stand nur auf ihn.
Bei ihrer ersten Begegnung, als sie noch ein Teenie gewesen war, hatte sein Anblick sie schier umgehauen. Sie wus