: Leena Lehtolainen
: Zeit zu sterben Ein Finnland-Krimi
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644019249
: Die Maria Kallio-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Maria Kallio, bereits erfolgreiche Anwältin und Ermittlerin, wird in einen Fall verwickelt, der mysteriöser nicht sein könnte: Säde, eine junge Therapeutin, die misshandelte Frauen im Frauenhaus betreut, fasst den Entschluss, zukünftig entschiedener und tatkräftiger den Frauen zu helfen. Sie will nicht mehr nett sein und die alltägliche Gewalt stillschweigend hinnehmen. Säde beginnt eine mörderische Therapie, die schnelle Erfolge zeitigt. Doch die Zeit rinnt ihr unaufhaltsam durch die Hände - und irgendwann ist es für jeden Zeit, zu sterben. Spannend und lebensnah; hier ist eine neue Stimme aus Finnland zu entdecken.

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.

Eins


Das Ferkel hatte nur noch einen Flügel. Von der Ablage hinter der Theke starrte es traurig an mir vorbei. Ich versuchte seinen Blick zu erwischen, um ihm zu sagen, dass ich mich genauso fühlte.

Irja Ahola war tot. Ihr Mann hatte ihr den Schädel eingeschlagen, mit einem Schürhaken.

Ich war wütend und traurig, aber nicht überrascht. Irja hätte sich vor fünf Jahren scheiden lassen sollen, als er sie zum ersten Mal schwer misshandelt hatte. Sie hätte aus der Hauptstadtregion wegziehen und ihren Namen ändern können. Aber Irja wollte nicht gehen. Sie meinte, sie müsse an ihre Kinder und Enkel denken. Wir Mitarbeiter im Frauenhaus Schutzhafen hatten sie in ihrer Entscheidung unterstützt. Wir glaubten den Schläger therapieren zu können, und fanden es wichtig, die Familie zusammenzuhalten. Irja hatte vor fünf Jahren keine Anzeige erstattet und erlaubte uns auch später nicht, die Polizei zu verständigen, wenn sie sich mit blauen Flecken und gebrochenen Rippen ins Frauenhaus geflüchtet hatte.

Und jetzt war Irja tot.

Ich holte mir an der Theke noch einen Cidre, obwohl mir schon der erste in die Beine gegangen war. Am Nachmittag hatte mich Hauptkommissarin Maria Kallio angerufen und gefragt, was ich über die ständige Gewalt in der Familie Ahola wüsste. Einmal hatte Irja Ahola gegenüber ihrer ältesten Tochter zugegeben, dass die blauen Flecke am Kinn nicht von einem Sturz mit dem Fahrrad stammten, sondern von ihrem Vater. Erst als sie nach dem Totschlag von der Polizei vernommen wurde, war der Tochter aufgegangen, dass die ständigen Verletzungen ihrer Mutter nicht von Zusammenstößen mit Möbelstücken herrührten.

Kallio hatte mich für halb drei auf das Präsidium bestellt. Ich kannte sie, wir hatten dienstlich miteinander zu tun gehabt, und einmal hatten wir auf einem Seminar beide einen Vortrag gehalten. Seitdem duzten wir uns. Dieses Seminar über vorbeugende Maßnahmen gegen Gewalt in der Familie war die schrecklichste Veranstaltung in meinem ganzen Leben gewesen. Trotz Mikrophon hatte man mich in dem kleinen Saal im Kulturzentrum Espoo in den mittleren Reihen kaum hören können, während Kallio ohne elektronische Hilfsmittel ausgekommen war.

Ich befürchtete, dass auch sie mir die Schuld an Irja Aholas Tod geben würde. Wir hatten ziemlich unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man mit Gewalt in der Familie umgehen sollte. Kallio wollte die Täter ins Gefängnis stecken, während im Frauenhaus Versöhnung und Vergebung als das Wichtigste galten.

Bis gestern Abend hatte ich so gedacht.

Als ich in Kallios Zimmer kam, stutzte ich. Die Kommissarin sah müde aus. Zwischen ihren roten Haaren waren ein paar graue Strähnen aufgetaucht, unter den Augen lagen dunkle Ringe. Vor einem Jahr erst hatte sie bei der Espooer Kripo die Leitung der Abteilung Gewaltkriminalität übernommen. Es hatte nicht allen geschmeckt, dass ein so verantwortlicher Posten mit der Mutter eines kleinen Kindes besetzt wurde.

«Ah, Säde Vasara, guten Tag.» Sie erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und gab mir die Hand. «Kriminalmeister Anu Wang schreibt das Protokoll», sagte sie und wies auf eine junge, orientalisch aussehende Frau, die am Com